Betrachtungen zu Bibeltexten

 

 

"Psalm 91 aus dem Jahre 2012" von Heimo Keindl

"Ist JHWH ein Krieger?" von Erhard Eibensteiner

"Das Evangelium nach Markus", nachempfunden einem Vortrag von Univ. Prof. Dr. Stowasser, von Erhard Eibensteiner

"Das Evangelium nach Johannes", nachempfunden einem Vortrag von Univ. Prof. Dr. Stowasser, von Erhard Eibensteiner

"Matthäus als Anwalt der Vision Jesu" von Dr. Roland Schwarz

"Paulus und die Frauen" von Erhard Eibensteiner

"Drei und doch eins" von Hanns Sauter, gefunden von Erich Graf

"Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria" von Peter Knauer SJ, gefunden von Hans Chalupka

"David und Goliat" von Erhard Eibensteiner

"Jesus und die Samariterin" (Joh 4,5-42) von Peter Paul Kasper, gefunden von Gerhard Steindl

"Wurde Judas unschuldig zum Verräter?", Vortrag von Mag. Andreas Heindl am 26.03.2011

"Wer war Pontius Pilatus?" von Erhard Eibensteiner

"Zur Hölle mit der Hölle" von Erhard Eibensteiner

"Priesterbild: Unvereinbarkeiten, zusammengestellt aus Bibel, Lexikon und Kirchengeschichte", zusammengestellt von Erhard Eibensteiner

"Das Buch Jona" von Erhard Eibensteiner

 

 

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Psalm  91 aus dem Jahre 2012 

 

Unter dem Schutz des Höchsten?

 

Ich stehe vor dem Tor zur Kirche.

Suche ich Schutz in diesem Gebäude?

Schutz und Sicherheit will ich mir doch selber organisieren.

Mit dem Schutzmantel der Haftpflichtversicherung, mit Autoversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung. Auch einbruchsichere Türen und Fenster hab ich angeschafft.

 

Ich ergreife die Türschnalle um das Tor zu öffnen.

„Ich will Dich, meinen Gott, Dich Allmächtigen suchen, um die Leere in mir zu füllen.

Die Leere trotz meiner sorgfältigen Lebensplanung.“

 

Ich trete durch das Tor.

„Allmächtiger – Du willst aber nicht allmächtig sein.

 Du hast ja, unserer Freiheit willen, auf die Allmacht verzichtet.

Du hast uns und dem ganzen Kosmos Autonomie gegeben.

Und wie soll ich hier zurecht kommen ohne Dein direktes Eingreifen?“

 

Ich komme an die Glastüre. Leere umgibt mich.

Hinter der Glaswand, so sehe ich es, bewegen sich langsam Schatten.

„Herr, mein Gott wie ist es schwer zu Dir zu gehen, Dich zu erfahren.

Viele haben dieses Problem gelöst und Dich einfach für tot erklärt.

Aber das erfüllte Leben wird dadurch auch nicht garantiert.

Wie schwer lässt Du dich finden! Wie schwer Dein Wille.“

 

Meine Hand findet den verchromten Griff, ich drücke an und die Glasfläche weicht zurück.

Mich treffen Blicke, die Mut machen, warme Hände versprechen Halt.

Ich höre Gottes Wort – nein,  nicht Gottes Wort – sondern menschliche Worte vom Glauben an Gott inspiriert.

Ich bekomme von Geschwistern im Glauben Gedanken geschenkt.

Breche Brot und teile einen Schluck Wein, an Jesus unseren Maßgebenden denkend.

 

„Herr, ich möchte Dir danken für den Zuspruch,  den,  stellvertretend durch andere,  Du mir schenkst. Ich sehe keinen Engel, der mich heimgeleitet. Aber Du schenkst mir Fähigkeiten, Deinen Willen zu erahnen. Ich werde keine Löwen niedertreten und keine Schlangen in mir überspringen. Aber ich darf mich in Deiner mütterlich, väterlichen Hand geborgen fühlen.

Du willst mir kein langes sorgloses Leben versprechen. Dennoch will ich auf Dich vertrauend in meine Zukunft gehen. Bis an meine Grenze und darüber hinaus.

Dein Wille geschehe.“   

Heimo Keindl

 

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Ist JHWH ein Krieger?

 

Schon oft hörte ich in Gesprächen: „Das Alte Testament ist so blutrünstig und gewalttätig. Am besten, man liest es nicht.“ Am bekanntesten ist die Geschichte des Auszugs aus Ägypten.

 

Ex 12,29f: Es war Mitternacht, als der Herr alle Erstgeborenen in Ägypten erschlug, vom Erstgeborenen des Pharao, der auf dem Thron saß, bis zum Erstgeborenen des Gefangenen im Kerker, und jede Erstgeburt beim Vieh. Da standen der Pharao, alle seine Diener und alle Ägypter noch in der Nacht auf, und großes Wehgeschrei erhob sich bei den Ägyptern; denn es gab kein Haus, in dem nicht ein Toter war.

 

Oder nach dem Durchzug durchs Schilfmeer das Lied des Moses:

Ex 15,1ff: Damals sang Mose mit den Israeliten dem Herrn dieses Lied; sie sagten: Ich singe dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben. Rosse und Wagen warf er ins Meer. Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden. Er ist mein Gott, ihn will ich preisen; den Gott meines Vaters will ich rühmen. Der Herr ist ein Krieger, Jahwe ist sein Name.

 

Ebenso der „Tanz der Miriam“:

Ex 15,20f: Die Prophetin Mirjam, die Schwester Aarons, nahm die Pauke in die Hand, und alle Frauen zogen mit Paukenschlag und Tanz hinter ihr her. Mirjam sang ihnen vor: Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Rosse und Wagen warf er ins Meer.

 

Beim Pesachfest wird der Freude über die Befreiung aus dem ägyptischen Joch Ausdruck gegeben. Dennoch: Die Freude ist nicht ungetrübt wegen des Todes der Ägypter. Rettung durch den Tod anderer? Beim Festgebet wird dafür um Verzeihung gebeten. Auch das „Hallel“ (Ps 113-118; 136) wird nicht vollständig gesungen.

 

Heute im Christentum haben wir diesbezüglich ein Problembewusstsein. Aber auch das Neue Testament ist nicht gewaltlos (Offb, Kreuzestod Jesu).

 

Versuchen wir einen Zugang. Die Kriegführung im Alten Orient war ungeheuer grausam (wie auch heute). In der Entstehungszeit vieler alttestamentlichen Texte trommelte die assyrische Kriegspropaganda. So machte das israelitische Volk seine Erfahrungen in der „Alltäglichkeit des Krieges“. Die Kriege wurden religiös begründet (nur damals?) und mit Hilfe der Kriegsgötter geführt. Das Gottesbild reflektiert somit gesellschaftliche Wirklichkeiten.

 

Die Bedrohung wurde militärisch (durch feindliche Völker) und ideologisch (Religion und Kultur siegreicher Völker) erlebt. Die ideologische Gegenreaktion des unterlegenen israelischen Volkes war die Zuschreibung der Eigenschaften der siegreichen Götter an den eigenen Gott JHWH. Israel in der Position der Unterdrückten in assyrischer und babylonischer Zeit glorifizierte so die eigene Vergangenheit, um die eigenen Leute bei der Stange zu halten.

 

Das Alte Testament benennt die Gewalt, benennt Täter und Opfer und verschleiert nichts. Das ist der erste Schritt zur Überwindung der Gewalt.

 

Im Alten Testament wird aber auch diese Ebene überschritten. So gibt es keine „Gotteskriege“.

 

Ex 17,8-13: Als Amalek kam und in Refidim den Kampf mit Israel suchte, sagte Mose zu Josua: Wähl uns Männer aus, und zieh in den Kampf gegen Amalek! Ich selbst werde mich morgen auf den Gipfel des Hügels stellen und den Gottesstab mitnehmen. Josua tat, was ihm Mose aufgetragen hatte, und kämpfte gegen Amalek, während Mose, Aaron und Hur auf den Gipfel des Hügels stiegen. Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker. Als dem Mose die Hände schwer wurden, holten sie einen Steinbrocken, schoben ihn unter Mose, und er setzte sich darauf. Aaron und Hur stützten seine Arme, der eine rechts, der andere links, so dass seine Hände erhoben blieben, bis die Sonne unterging. So besiegte Josua mit scharfem Schwert Amalek und sein Heer.

 

Dieses frühe Beispiel zeigt, wie Israel kämpfen soll: im Vertrauen auf Gott. Es kommt nicht auf die menschliche Stärke, Kriegsgerät, Waffen oder Strategie an. Im Midianiterkrieg (Ri 7) siegt Gott, nicht der Mensch. Die Eroberung Jerichos (Jos 6) geschieht in einer „liturgischen Prozession“. Die „Vernichtungsweihe“ (Dtn 7) galt begrenzt zur Zeit der Landnahme ausschließlich an diesen Völkern, nicht zur Zeit der Niederschrift, als es diese Völker nicht mehr gab. Das Vertrauen auf Gott zielt auf die Überwindung des Krieges.

 

Bibel ist also „Gotteswort im Menschenwort“. Die gesellschaftliche Realität bestimmt das Gottesbild. Die Menschen können nur in der ihnen zur Verfügung stehenden Sprache von Gott reden.

 

Wie geht die Entwicklung weiter?

 

Auch der Monotheismus beeinflusste das Verhältnis zur Gewalt. Zunächst gab es mehr Gewalt wegen der Abgrenzung von anderen (z.B. Elija). Im Exil wandelte sich das Verständnis vom Monotheismus: JHWH bekam universelle Bedeutung. Er wurde zum Gott des Universums, zum Gott für alle Völker. Wenn es nur einen Gott gibt, dann ist kein Kampf (gegen andere Völker und ihre Götter) mehr nötig. Dazu kommt die geschichtliche Erfahrung des Scheiterns (Zerstörung Jerusalems und des Tempels, Verschleppung in das babylonische Exil). JHWH ist der Gott der Opfer und der Machtlosen. Da landet das Gottesverständnis bei den Gottesknechttexten im Deuterojesaja: Gott ist mit dem, der scheitert und letztendlich von allen verlassen schändlich sterben muss. Es ist besser, um Gottes Willen zu leiden als selbst gewalttätig zu sein.

 

Im Exil entstehen auch Friedensvisionen:

 

Jes 2,1-5 (ähnlich Mich 4,1-5): Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, in einer Vision über Juda und Jerusalem gehört hat. Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort. Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.

 

Ps 72,1-3: Verleih dein Richteramt, o Gott, dem König, dem Königssohn gib dein gerechtes Walten! Er regiere dein Volk in Gerechtigkeit und deine Armen durch rechtes Urteil. Dann tragen die Berge Frieden für das Volk und die Höhen Gerechtigkeit.

 

Jes 11,1-10: Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er, sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt den Gewalttätigen mit dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes. Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, Treue der Gürtel um seinen Leib. Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist. An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; sein Wohnsitz ist prächtig.

 

Sach 9,9-12: Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde. Auch deine Gefangenen werde ich um des Blutes deines Bundes willen freilassen aus ihrem Kerker, der wasserlosen Zisterne. Kehrt in Scharen zurück, ihr Gefangenen voll Hoffnung! Ja, heute verkünde ich: Die doppelte Zahl führe ich zu dir zurück.

 

Hos 2,20: Ich schließe für Israel an jenem Tag einen Bund mit den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels und mit allem, was auf dem Erdboden kriecht. Ich zerbreche Bogen und Schwert, es gibt keinen Krieg mehr im Land, ich lasse sie Ruhe und Sicherheit finden.

 

Die Gewalt existiert, aber sie wird aus der Verfügung des Menschen genommen und Gott anheim gestellt. Sehr frühe Beispiele dafür sind zwei Heldenepen über David in 1Sam 24, noch deutlicher 1Sam 26: ... Saul schlief mitten im Lager, während seine Leute rings um ihn herum lagen ... sein Speer steckte neben seinem Kopf in der Erde ... Da sagte Abischai zu David: Heute hat Gott deinen Feind in deine Hand gegeben. Jetzt werde ich ihn mit einem einzigen Speerstoß auf den Boden spießen, einen zweiten brauche ich nicht dafür. David aber erwiderte Abischai: Bring ihn nicht um! Denn wer hat je seine Hand gegen den Gesalbten des Herrn erhoben und ist ungestraft geblieben? ... Mich aber bewahre der Herr davor, dass ich meine Hand gegen den Gesalbten des Herrn erhebe ...

 

Die menschliche Geschichte ist gewaltbestimmt, die Überwindung der Gewalt geschieht nur durch Gott und im Vertrauen auf Gott (Jesus). Inspiriert ist nicht nur der Text, sondern auch die Lesegemeinschaft durch das Wirken des Geistes. Die Widersprüche in der Bibel fordern zur Auseinandersetzung heraus. So sind durch verschiedene Stimmen der Bibel göttliche und menschliche Perspektiven im Gespräch.

 

Fazit: Die Bibel kann nicht der Rechtfertigung von Gewalt dienen!

Erhard Eibensteiner

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Das Evangelium nach Markus

 

Markus der Evangelist

 

Die Identität des Verfassers des MkEvs ist umstritten. Dieser Name war in der damaligen Zeit weit verbreitet, daher können keine sicheren Rückschlüsse auf den Autor gezogen werden. War es

a)       der junge Augenzeuge der Gefangennahme Jesu (Mk 14,51)?

b)       Johannes Markus, der Vetter des Barnabas und Gefährte des Paulus (Apg 15,36-40, Phlm 1,23-24)?

c)       ein Freud des Petrus, der ihn Sohn nennt (1Pet 5,13)?

d)       der erste Papst der koptischen Kirche, der Bischof von Alexandria?

e)       eine Kombination dieser Spuren?

f)        oder ganz wer anderer?

 

Entstehung

 

Sicher ist dieses kürzeste Ev knapp vor oder um 70 nChr entstanden. 66-70 belagerten die Römer Jerusalem, innerhalb der Mauern tobte gleichzeitig ein mörderischer Bürgerkrieg zwischen Sikariern und Zeloten. Mk 13,12-14: Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder, und die Kinder werden sich gegen ihre Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet. Wenn ihr aber den unheilvollen Greuel an dem Ort seht, wo er nicht stehen darf - der Leser begreife -, dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen.

 

Nach altkirchlicher Tradition wird Rom als Abfassungsort benannt, was mit der Verwendung zahlreicher Latinismen begründet wird. Dagegen wird aber eingewendet, dass diese Latinismen aus dem Militär- und Finanzbereich entstammen und somit im gesamten Römischen Reich gebräuchlich waren.

 

Adressaten

 

Dass das MkEv vorwiegend für eine heidenchristliche Gemeinde geschrieben wurde, wird aus der häufigen Erklärung jüdischen Brauchtums und der Übersetzung semitischer Ausdrücke gefolgert. Die Mission unter den Heiden will das Ev legitimieren, indem es Jesus unter den Heiden wirken lässt (Mk 7,24- 8,10). Auch judenchristliche Gemeindemitglieder dürften Hörer/Leser des MkEvs gewesen sein, wofür die Behandlung von Themen spricht, die vor allem für ehemalige Juden relevant waren: die Sabbatfrage (Mk 2,23-28; 3,1-6), die Fastenfrage (Mk 2,19f) und die Reinheitsfrage (Mk 7,1-23).

 

Vermutlich traten in der Gemeinde Charismatiker und Propheten auf, die Termine und Orte der Parusie (Wiederkunft Jesu Christi) verkündeten. Gegen diese argumentiert das MkEv in 13,21: Wenn dann jemand zu euch sagt: Seht, hier ist der Messias!, oder: Seht, dort ist er!, so glaubt es nicht!

 

Mk 9,1 „Und er sagte zu ihnen: Amen, ich sage euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie gesehen haben, dass das Reich Gottes in (seiner ganzen) Macht gekommen ist“ zeugt von einer hohen Endzeiterwartung, Mk 8,34-38 deutet auf Verfolgung durch römische und jüdische Behörden hin.

 

Sprache und Stil

 

Fast nur Hauptsätze werden durch „aber“ und „und“ aneinandergereiht. Wie alle nt Schriftsteller verwendet er das Umgangs-Griechisch (Koinè), allerdings in einer schlichten umgangssprachlichen Ausprägung. Typisch sind ferner die Setzung des bestimmten Artikels bei Eigennamen sowie eine starke Monotonie bei Verben in den Gesprächen. Jesus wird sehr menschlich dargestellt: Er wird zornig und traurig (Mk 3,5), hat Hunger (Mk 11,12), ist müde (Mk 4,38), herzt Kinder (Mk 10,16).

 

Gliederung und Inhalt

 

Prolog (Mk 1,1-13): In der Taufperikope wird Jesus von Gott als sein Sohn offenbart und nach seiner Bewährung in der Versuchung kann er mit seinem messianischen Anspruch auftreten.

 

Wirken Jesu (Mk 1,14-3,12): Jüngerberufungen deuten auf seine Ausrichtung auf eine Gemeinschaft. In Berichten von Wunderheilungen wird seine Vollmacht vorgestellt. Diese Heilungen führen jedoch zum Konflikt mit religiösen Autoritäten, die infolge Jesu neuer Gesetzesauslegung schließlich einen ersten Todesbeschluss fassen und somit einen ersten Hinweis auf die Passion geben.

 

Weg zum Kreuz (Mk 8,27-16,8): In diesem Abschnitt beginnt Jesu Weg nach Jerusalem und somit ins Leiden. Inhaltliche Gliederungsmerkmale sind die drei Leidensweissagungen, auf die jeweils eine unverständige Reaktion der Jünger folgt. Den Abschluss bildet das letzte Heilungswunder Jesu. Das letzte Auftreten Jesu in Jerusalem wird durch einen provokativen Einzug in die Stadt mit Proklamation Jesu als Davidssohn eingeleitet und gipfelt in der Tempelreinigung. Hier kommt die Eskalation der Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den jüdischen Autoritäten deutlich zum Ausdruck. Nach einem ersten Todesbeschluss kommt es zum offenen Konflikt: Abgesandte des Synhedriums fragen nach der Vollmacht Jesu, dieser kontert mit der Parabel von den bösen Winzern (Mk 12,1-12). Daraufhin wird ein weiterer Todesbeschluss gefasst, auf den drei weitere Streitgespräche um zentrale theologische Fragen folgen. Daran schließt sich die letzte Rede Jesu an, die unter Aufnahme atl Weissagungen das Ende der bestehenden Weltordnung prophezeit.

 

Die eigentliche Passion beginnt mit einer erneuten Beratung, wie man Jesu töten könne. Mk schildert hier chronologisch die Abläufe bis zur Verhaftung, wobei die Abendmahlszene mit Jesu Deutung seines Todes als Hingabe für viele (Mk 14, 23f) sicherlich als Höhepunkt dieses Weges zum Kreuz zu sehen ist. Einen weiteren Höhepunkt stellt die Getsemaniszene dar, in welcher der eigentliche Schrecken der Passion als Verlassenheit durch die Menschen und Verwerfung durch Gott gekennzeichnet wird. Strukturierendes Stichwort für die folgenden Teile der Passion ist dann der Begriff „überliefern“: Judas überliefert Jesus an die Synhedristen, diese überliefern ihn an Pilatus, der ihn wiederum an die Kriegsknechte überliefert. Mk stellt den Tod Jesu als Justizmord dar, das Tötungsmotiv tritt in den Vordergrund. Die Gottverlassenheit Jesu aus der Getsemaniszene wird erst nach Jesu Tod durchbrochen, was durch wundervolle Zeichen geschieht und durch das Sohn-Gottes-Bekenntnis des römischen Hauptmanns (Mk 15,39) ausgedrückt wird. Das Evangelium schließt ursprünglich dann mit der Verkündigung des Engels im Grab ab.

 

Sekundärer Schluss (Mk 16,9-20): Die ältesten Handschriften des MkEv enden mit Vers 16,8. Sonstige Handschriften verwenden den uns bekannten so genannten „kanonischen Schluss“, der als Kombination von Elementen des LkEv und des JohEv sowie der Apg gesehen und dessen Entstehung in der ersten Hälfte des 2. Jh.s vermutet wird.

 

Redaktion und Theologie

 

Mk konnte auf zahlreiche christliche Traditionen um Jesus zurückgreifen. Offensichtlich waren diese schon zu größeren Einheiten zusammengefasst. Der Passionsbericht (= „Urmarkus“?) lag sicher schon vor. Teile der Endzeitrede werden einer urchristlichen apokalyptischen Gemeindetradition zugerechnet, Mk dürfte nur sehr begrenzten Zugang zum Logiengut gehabt haben, die Logienquelle (Q) schien ihm gänzlich unbekannt gewesen sein. Die Schweigegebote (Mk 8,30; 9,9) sowie die zweite und dritte Leidensankündigung gelten als Komposition des Mk. Die Gesamtkomposition wird einhellig seiner Redaktion zugeschrieben. Der scheinbar historische Rahmen wurde in erster Linie zur Entfaltung seiner Theologie geschaffen. Dennoch bestehen viele inhaltliche Spannungen, die durch die Verwendung verschiedener Traditionen entstanden sein müssen. Es gibt kaum Namen, Orts- und Zeitangaben. Erst ab Kap. 14 wird es konkret.

 

Das MkEv erzählt die Geschichte des Wirkens Jesu als erwachsener Mann. Am Anfang dieses Wirkens steht die besondere Erwählung Jesu, die sich in der Taufe im Jordan und der Offenbarung als Gottessohn manifestiert und die Jesus überhaupt erst die Befähigung zu seinem Wirken gibt. Seine Predigt ist knapp und prägnant: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! (Mk 1,15) In diesem programmatischen Satz fasst Mk den Inhalt der Botschaft Jesu zusammen. Hiervon ausgehend wird ausführlicher geschildert, wie Jesus auf seine Mitmenschen wirkt: Er ruft vor allem Staunen und Ehrfurcht bis hin zu Bestürzung und Unverständnis hervor. Zentrum des Wirkens Jesu ist jedoch sein unschuldiger Tod am Kreuz, auf den das gesamte Evangelium ausgerichtet ist. Aus diesem Grund wird das MkEv als „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“ bezeichnet. Dem Auferstandenen begegnet man in diesem Buch, aber um zu verstehen, muss man wieder in Galiläa anfangen: Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat (Mk 16,7).

 

Jesus und Gott

 

Bereits im Eingangsvers (Mk 1,1) bezeugt das MkEv: Jesus ist der Christus (d.h. der erwartete Messias), er ist der Sohn Gottes. In seiner Menschheit wird Jesus von Mk als echter Jude dargestellt, der sich auf den atl Gott bezieht (Mk 12,28-30, Dtn 6,4-5). Insofern verdankt der markinische Jesus sich in seiner gesamten Existenz, seiner Sendung und in seiner Vollmacht eben diesem Gott, was durch die Bezeichnung als „Gottessohn“ beschrieben wird. Mk bezieht sich während seines gesamten Evangeliums immer wieder auf das AT und versucht zu bezeugen, dass der im AT beschriebene Wille Gottes sich in Jesus realisiert – d. h., dass sich die Schrift in Jesus erfüllt. Wenn er Jesus sich in seinen Belehrungen also stets auf Traditionen des AT berufen lässt, so möchte Mk zum Ausdruck bringen, dass Jesu Sendung, Weg und Botschaft dem Ratschluss Gottes entsprechen. Ebenso der Bezug zum leidenden Gottesknecht (Jes 52,13-53,12): Jesus muss leiden, er weiß es und nimmt an, er geht freiwillig in den Willen Gottes.

 

Johannes der Täufer

 

wird vom Evangelisten verstanden als der im AT prophezeite Vorläufer Jesu. Deshalb hat er ihn mit Zügen des Elija ausgestattet, der nach Mal 3,23f dem Messias vorausgehen muss. Auch in seinem gewaltsamen Tod geht der Täufer Jesus voraus (Mk 9,11-13).

 

Das Reich Gottes

 

Wesentliches Kennzeichnen der Predigt Jesu vom Evangelium Gottes ist die Herrschaft/das Reich Gottes (Βασιλεία του Θεού). Man geht davon aus, dass Mk hierunter zweierlei versteht:

1. Das Nomen actionis der Ausübung seiner königlichen Herrschermacht durch Gott

2. Den Zeitraum einer majestetätischen Gottesherrschaft als von Gott aufgerichtetes, immerwährendes und unzerstörbares Reich, wie es in Dan 2,44 (Zur Zeit jener Könige wird aber der Gott des Himmels ein Reich errichten, das in Ewigkeit nicht untergeht; dieses Reich wird er keinem anderen Volk überlassen. Es wird alle jene Reiche zermalmen und endgültig vernichten; es selbst aber wird in alle Ewigkeit bestehen.) beschrieben wird. Es ist das ewige Heil, das nach dem Gericht über jegliche widergöttliche Tyrannei herrschen wird.

 

Mk sieht dieses Reich Gottes bereits in Jesu Wirken angebrochen, versteht Jesus jedoch nicht als Auslöser oder Initiator dieses Reiches. Der Anbruch des Gottesreiches in Jesus findet seinen Ausdruck in den Heilungswundern und Exorzismen, bei denen die widergöttlichen Mächte vertrieben werden. Dieses Heil ist nur für diejenigen erreichbar, die auch wirklich an die Ankunft des Gottesreiches in Jesus glauben. Dieses Heilswirken Jesu beschränkt sich nicht allein auf Juden, das Heil Gottes ist auf alle Völker ausgerichtet. Deshalb muss das Ev auch allen Völkern gepredigt werden (Mk 13,10; 14,9). Jesu verbale Verkündigung des Gottesreiches ist vor allem in seinen Gleichnissen präsent. In Bildern der Aussaat, des Aufwachsens und Erntens spricht er dort analogisch vom Reich Gottes: Es gilt, gelassen und zuversichtlich dem Kommen des Reiches Gottes in der Endzeit entgegen zu sehen (Mk 4,26-29). Eine Voraussetzung für die Vollendung der Gottesherrschaft und das „ewige Leben“ als Heilsziel sieht der Evangelist in der Predigt des Evs (Mk 4,30-32).

 

Gottesvolk

 

Im MkEv finden sich zahlreiche Wahrsprüche gegen das Judentum und die Juden, die sich zum Ende des Evangeliums hin stark häufen: Tempelreinigung (Mk 11,15-19) als Abschaffung des jüdischen Kultes, das Gebot der Nächstenliebe (Mk 12,28-34) als Relativierung der jüdischen Gesetzespraxis, das Sabbatgebot (Mk 2,23-28) interpretiert er neu und jüdische Speisevorschriften erklärt er zum „Unsinn“ (Mk 7,1-23). Dem gegenüber konstituiert Mk ein neues Gottesvolk, das aus allen Völkern besteht, denen das Ev gepredigt werden soll. Dass Mk ausgerechnet Galiläa als Ausgangspunkt des Heils Jerusalem, dem Zentrum der jüdischen Religion, gegenübersetzt, unterstreicht diese Kritik am Judentum. Als Stammväter des neuen Gottesvolkes sieht er den Zwölferkreis der Apostel. Auch wenn dieses Gottesvolk die Heiden mit einschließt, können trotzdem Juden, die gläubig werden, in dieses Volk aufgenommen werden.

 

Das Messiasgeheimnis

 

soll verdeutlichen , dass Jesus aus seinen Wundertaten heraus nicht vollständig erkannt werden kann. Dieses Verständnis wird mit Mk 9,9 begründet, wo das Schweigegebot lediglich bis zur Auferstehung terminiert ist. Daraus wird dann geschlossen, dass Jesus erst durch Kreuz und Auferstehung uneingeschränkt erkannt werden könne. Als Schlüsselszene für die Erkenntnis Jesu wird dann das Bekenntnis des Römischen Hauptmanns erachtet: Als der Hauptmann, der Jesus gegenüber stand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn. (Mk 15,39)

 

Hoheits- und Niedrigkeitstitel

 

Der wichtigste Hoheitstitel Jesu im MkEv der des Gottessohnes. Damit knüpft Mk nicht an den griechischen Sohnesbegriff, sondern an den hebräischen an, der uns an zahlreichen Stellen des AT begegnet. Mit diesem Begriff meint Mk also keine physische Abstammung Jesu von Gott, sondern greift einen in der damaligen Zeit zumindest vorbereiteten titularen Gebrauch des Gottessohn-Prädikats für den erwarteten Messias auf. Zugleich entwickelt er diesen Titel auch weiter: Während ursprünglich (Paulusbriefe!) im christlichen Glauben die Inthronisation Jesu als Gottessohn mit der Auferstehung zusammenfiel, verlegte Mk diese durch die Taufperikope auf den Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu vor. Vermutlich verstand Mk Jesu Gottessohnschaft als einzigartiges Verhältnis von ihm zu Gott, in dem er als letzter Bote Gottes, in Form eines charismatischen Wundertäters, auftrat. Mk sieht in Jesus den Gottessohn sowohl als charismatischen Wundertäter, als auch als königlichen Messias bzw. endzeitlichen Heilbringer, und zwar ab Beginn seines öffentlichen Wirkens, nicht jedoch in Form eines Präexistenzgedankens. Ein weiterer zentraler Titel Jesu ist der des Menschensohnes. Auch dieser entstammt der jüdisch-apokalyptischen Tradition (Dan 7,13f) und bezeichnet dort eine Menschengestalt im Endgeschehen, die Gott nahe steht und mit einmaliger Vollmacht ausgestattet ist. Diesen Titel gebraucht Jesus häufig für sich selbst, spricht dann aber vom Menschensohn in der dritten Person. Bei Mk handelt es sich hierbei um einen Niedrigkeitstitel, der vor allem mit dem Leidensweg Jesu in Verbindung steht, welcher in Mk 10,45 letztlich auch anhand dieses Titels gedeutet wird: Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Zugleich bezieht sich der Titel auf den vollmächtig wirkenden Jesus (Mk 2,10) und auf den eschatologischen Richter (Mk 13,26f). Für die Hoheitstitel ist vor allem Mk 14,61f interessant, wo Mk Jesus sich nicht nur zu seiner Messianität und Gottessohnschaft offen bekennen, sondern ihn zugleich offenbaren lässt, dass der Messias identisch mit dem eschatologischen Richter, dem Menschensohn ist.

 

Jüngerschaft und Nachfolge

 

Jesu Berufung in den Jüngerkreis ist mit einer Umkehraufforderung verbunden, die durch die Begegnung mit ihm erfüllt wird, weshalb sich sein Ruf insbesondere an Sünder richtet (Mk 2,17). Diese Umkehr ist dabei mit einer Relativierung aller natürlichen Bindungen verbunden, denen die Jüngerschaft als „familia dei“ (Mk 3,31-35) entgegengesetzt wird, hinzu tritt die unbedingte Orientierung am Gebot der Gottes- und Nächstenliebe (Mk 3,35; 12,28-34). Dem entsprechend möchte Mk die Jüngerschaft vor allem als Dienst verstanden wissen, bei dem es keinen Streit um die Autorität geben darf (Mk 9,33-37). Er lässt seinen Jesus absolute Leidensbereitschaft fordern und betont damit, dass Nachfolge vor allem Kreuzesnachfolge ist (Mk 8,34-9,1). Mk betont den Gnadencharakter des Glaubens: Zum Glauben gelangt nur, wer durch Gott dazu berufen wird. Mk versteht die Zwölf als Zeugen des Lebens Jesu, die die Verbindung zwischen Jesu Wirken und der kirchlichen Verkündigung sicherstellen. Der Zwölferkreis der Apostel ist Repräsentant der gesamten Jüngerschaft, an ihm verdeutlicht Mk, was seine Leser beherzigen und beachten sollen. So bevollmächtigt sein Jesus die Zwölf zu einem seinem eigenen ähnlichen Wirken (Mk 6,6b-13) und legitimiert dadurch die Arbeit der Gemeinde. Zugleich belehrt Mk seine Gemeinde hinsichtlich der Erwartungen an sie und hinsichtlich der Gefahr des Versagens in der Nachfolge. Auffällig ist, dass innerhalb des Evangeliums das Versagen der Jünger, das neben ihrer hohen Berufung steht, verdeutlicht Mk hier,

  1. dass seine Gemeindemitglieder sich einzig und allein Jesus anvertrauen sollen und keinen anderen Vorbildern, die alle von der Gefahr des Versagens in der Kreuzesnachfolge betroffen sind,

  2. zeigt die erneute Berufung der Jünger nach ihrem Versagen während Jesu Passion, dass Mk Jüngerschaft vor allem als geschenkte Gnade verstanden wissen will und insofern als Angelegenheit des erhörungsgewissen Betens versteht.

 

Quellen: Vortrag von Prof. Dr. Martin Stowasser, Wikipedia

 Erhard Eibensteiner

 

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Das Evangelium nach Johannes

Nachempfunden einem Vortrag von Univ. Prof. Dr. Stowasser

 

Das Johannesevangelium ist nicht im Besitz der Wahrheit, sondern zeigt das Ringen um die Wahrheit auf. Es ist wie die gesamte Bibel kein Wahrheitsdepot, sondern ein Offenbarungsangebot und fordert einen Findungsprozess. Dem Leser bleibt die Spannung von Verbalinspiration (=von Gott diktiert) und Realinspiration (=von Gott durchweht) nicht erspart.

 

Die Frage nach dem Verfasser

 

Apostel Johannes (=der Herr ist gnädig), Sohn des Zebedäus (=Geschenk Gottes? =Donnerer?), ist er auch der „geliebte Jünger“? Nicht einmal das Johannesevangelium ist eindeutig. Die Erwähnung im „Canon Muratori“, bei Irenäus und Papias von Hierapolis widersprechen einander zum Teil. Vielleicht stimmt einiges teilweise, vor allem, wenn man bedenkt, dass das letzte Evangelium offenbar mehrere, weiter auseinanderliegende Entstehungsstufen enthält.

 

Spannungen auf der Erzählebene

 

Es gibt durchgehend eine gemeinsame „johanneische“ Sprache, gleichzeitig deutliche Mängel an Zusammenhalt. Zum Beispiel 14,31: Aufforderung zum Weggehen, doch folgen noch Kap. 15-17 mit neuen Themen wie Ermutigung, Abschied, Paraklet (=Anwalt, Beistand, gemeint ist der Heilige Geist); 14,31 wird in 18,1 aufgenommen und fortgesetzt; Einschübe und Unterbrechungen des Erzählverlaufes wie 3,31-35 „situationsgelöstes Redestück“, 20,1-18 Erweiterung der Grabauffindungserzählung, 20,30f bilden das ursprüngliche Ende des JohEv., dennoch Kap 21 mit weiterem Schlusswort.

 

Spannungen auf der inhaltlichen Ebene

 

Die Aussagen zur Eschatologie sind widersprüchlich. Aussagen einer betont präsentischen (=gegenwärtigen) Eschatologie (=Hoffnung auf Vollendung, Lehre von den letzten Dingen) in 5,25f, 11,25f stehen unausgeglichen neben solchen mit futuristischer (=zukünftiger) Eschatologie in 5,28f, 6,39b.40.44.54, 12,48.

 

5,24Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen. 5,25Amen, amen, ich sage euch: Die Stunde kommt, und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben. 5,26Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben. 5,27Und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. 5,28Wundert euch nicht darüber! Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören 5,29und herauskommen werden: Die das Gute getan haben, werden zum Leben auferstehen, die das Böse getan haben, zum Gericht.

 

Bewertung der Zeichen (sigmeia)

 

Einerseits existiert eine positive Sicht der Zeichen, weil sie zum Glauben führen (2,11: 5,36; 20,30f), andererseits stößt man auf eine recht reservierte Haltung, die die „Erfolglosigkeit“ der Zeichen für die Glaubensentscheidung unterstreicht (2,23-25; 3,2-3; 4,48; 6,26.30.36; 12,37; 20,29). Sie sind Ausdruck und Beweise des Herkunft Jesu von Gott, sollen die Realität des Heils dokumentieren, dennoch eine Distanz zum Mirakelhaften aufzeigen.

 

Unterschiedliche Ebenen in der Brotrede (Kap. 6)

 

Zunächst steht in der Brotrede das „Brot des Lebens“ symbolisch für die Heilsfunktion des vom Himmel gekommenen Erlösers, die im Glauben angenommen wird (6,32-51b – symbolische Deutung); in 6,51c-58 (sakramentale Deutung) steht das sakramentale Essen von „Fleisch und Blut“ in der Eucharistie mit neuer – konkret als Essensvorgang betonender – Terminologie im Vordergrund (vorher „essen“, nachher „beißen, kauen, verzehren).

 

Herausgeberhinweis

 

21,24a verweist auf den „geliebten Jünger“ als „Verfasser“, obwohl davor in 21,22f sein Tod bereits vorausgesetzt ist und ein kollektives „wir“ (21,24b) schreibt.

 

Aufbau des Johannesevangeliums (JohEv.):

 

1,1-18             Prolog

1,19 – 12,50    Offenbarung Jesu vor der Welt (Zeichen, Reden über Zeichen, Auseinandersetzung mit der Welt und dem Kosmos)

13,1 – 20,31    Offenbarung Jesu vor den Seinen

13 – 17            Jesus und die Seinen (Abschied, Jesus und die Jünger, die Jünger werden verlassen und brauchen einen Helfer)

18 – 20            Passion und Ostern (Heimgang, Passion ist Hoheitsakt, Durchgang zum Vater)

21,1-25            Epilog / Nachtrag

 

Literarische und theologische Eigenart des JohEv.s:

 

Das JohEv. interessiert sich nicht für historische Abläufe. Eine zeitliche Abfolge des Lebens Jesu lässt sich kaum verfolgen. Die Jünger sind Täuferjünger (älteres Traditionsgut). Das JohEv. ist nicht auf eine Lösung am Ende der Erzählung angelegt, sondern bereits vom ersten Vers an ist die Lösung immer präsent. Bereits der Prolog offenbart unmissverständlich die wahre Würde des johanneischen Jesus. Er ist göttlicher Logos und als Gesandter der einzige Offenbarer des Vaters. Der Prolog thematisiert ebenso bereits die Ablehnung des Logos durch die Welt, den Kosmos.

 

Das dramatische Grundgerüst des ganzen JohEv.s kann man abstrakt so formulieren: Der Sohn Gottes, Offenbarer und Erlöser, kommt in die Welt und provoziert dadurch in der Welt eine Krisis (= Beurteilung, Scheidungsgeschehen, Zuspitzung, Wendepunkt): überwiegender Ablehnung und Feindschaft stehen Glaube und Verständnis bei einigen wenigen gegenüber. Die Ablehnenden bleiben in Finsternis und Tod, die Glaubenden finden Licht, Leben und Wahrheit in ihm. Der Sohn kehrt zum Vater heim und bereitet den Seinen einen Platz im göttlichen Leben. Das JohEv. ist eine Problemgeschichte, der Grundkonflikt (Jesus <-> Welt) besteht von Anfang an und setzt sich weiter fort.

 

Gesandtenchristologie als christologisch-soteriologisches Konzept:

 

Alles im JohEv. kreist um die Christologie (= christliche Deutung der Person Jesus von Nazaret). Sie ist am kürzesten und prägnantesten mit „Gesandtenchristologie“ zu definieren. Obwohl das JohEv. sämtliche christologischen Hoheitstitel verwendet, denen wir auch in anderen frühchristlichen Schriften begegnen, drückt sich das Eigentümliche der johanneischen Christologie doch in der Vorstellung von Jesus als Gesandter des Vaters aus. Von der Sendung Jesu durch seinen Vater ist im JohEv. etwa 40-mal die Rede.

 

Die Christologie des JohEv. ist dabei in ein räumliches „oben/unten-Schema“ als Weg des Erlösers eingeschrieben:

 

>----a---\                 /---e---->

               b           d

                \---c---/

 

a: Präexistenz (schon immer da bei Gott)

b: Inkarnation (Fleischwerdung, Geburt)

c: Krisis (Konflikt mit der Welt)

d: Gehen zum Vater

e: Beistand senden, Wohnung bereiten

 

Joh 17,1-5: Dies sagte Jesus. Und er erhob seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war.

 

Joh 13,3f: Jesus, der wusste, dass ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte, stand vom Mahl auf, ...

 

Literarische und theologische Eigenart des JohEv.s

 

Nach dem Offenbarerwirken Jesu gibt es keine Entschuldigung mehr für die Liebe zur Finsternis, gibt es keine Entschuldigung mehr für die Ablehnung Gottes, die mit der Ablehnung Jesu in eins fällt.

 

Joh 15,22-24: Wenn ich nicht gekommen wäre und nicht zu ihnen gesprochen hätte, wären sie ohne Sünde; jetzt aber haben sie keine Entschuldigung für ihre Sünde. Wer mich hasst, hasst auch meinen Vater. Wenn ich bei ihnen nicht die Werke vollbracht hätte, die kein anderer vollbracht hat, wären sie ohne Sünde. Jetzt aber haben sie (die Werke) gesehen, und doch hassen sie mich und meinen Vater.

 

Gegenüber diesem Begriff von Sünde als Unglaube klingt der ethische Sündenbegriff vergleichsweise nur schwach an. Erst im 1. Johannesbrief wird Sünde auch zu einer innergemeindlichen Kategorie. Hier ist eine Weiterentwicklung erkennbar. Das traditionelle Gericht nach den Werken tritt in den Vordergrund (1Joh 4,16f). 1Joh 15,16ff unterscheidet zwischen moralischer Sünde (vgl. 1Joh 2,12; 1Joh 3,4-9) und Sünde zum Tod. Letzteres ist der Unglaube, womit die johanneische Grundkonstante fortgeschrieben wird.

 

1Joh 2,12: Ich schreibe euch, ihr Kinder, dass euch durch seinen Namen die Sünden vergeben sind.

 

1Joh 3,4-9: Jeder, der die Sünde tut, handelt gesetzwidrig; denn Sünde ist Gesetzwidrigkeit. Ihr wisst, dass er erschienen ist, um die Sünde wegzunehmen, und er selbst ist ohne Sünde. Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht. Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen und ihn nicht erkannt. Meine Kinder, lasst euch von niemand in die Irre führen! Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie Er gerecht ist. Wer die Sünde tut, stammt vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang an. Der Sohn Gottes aber ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören. Jeder, der von Gott stammt, tut keine Sünde, weil Gottes Same (= Heiliger Geist als göttliches Lebensprinzip) in ihm bleibt. Er kann nicht sündigen, weil er von Gott stammt.

 

1Joh 4,16-17: Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.  Darin ist unter uns die Liebe vollendet, dass wir am Tag des Gerichts Zuversicht haben. Denn wie er, so sind auch wir in dieser Welt.

 

1Joh 5,16-18: Wer sieht, dass sein Bruder eine Sünde begeht, die nicht zum Tod führt, soll (für ihn) bitten; und Gott wird ihm Leben geben, allen, deren Sünde nicht zum Tod führt. Denn es gibt Sünde, die zum Tod führt. Von ihr spreche ich nicht, wenn ich sage, dass er bitten soll. Jedes Unrecht ist Sünde; aber es gibt Sünde, die nicht zum Tod führt. Wir wissen: Wer von Gott stammt, sündigt nicht, sondern der von Gott Gezeugte bewahrt ihn, und der Böse tastet ihn nicht an.

 

Die „Sünde zum Tod“ ist offensichtlich eine Handlungsweise, die die volle Lebensgemeinschaft mit Gott, Christus und dem Bruder zerstört.

 

1. Trauma der johanneischen Gemeinden: Zerbrechen der Einheit der Gemeinde (Spaltung nach innen)

 

Die Entwicklung der einzigartigen Hoheitschristologie führte zu Spannungen innerhalb der johanneischen Gemeinden. Offenkundig befürchteten manche johanneischen Christen den Verlust der „Erdung“ ihres Glaubens. Aus dem Juden Jesus von Nazaret war in der Gesandtenchristologie ein „über die Erde schreitender Gott“ geworden, sein Leiden zu einem Akt der Verherrlichung und das Heil zu einem Akt der Erkenntnis. Christologisch stand die Gefahr des Doketismus (= Christus hätte nur scheinbar gelebt) im Raum, soteriologisch (= auf die Erlösung bezogen) die Gefahr einer übermäßigen Spiritualisierung des Heilsbegriffs, der ethisch fruchtlos blieb. Die johanneischen Gemeinden haben um den „wahren Glauben“ gerungen, die johanneischen Schriften sind das historische Zeugnis dieses Konfliktes.

 

Diese innergemeindlichen Auseinandersetzungen sind besonders in den Johannes‑Briefen deutlich sichtbar. Der christologische Streitpunkt betraf offensichtlich die Identität von fleischlichem Jesus und göttlichem Christus (1Joh 2,22; 4,2); die Kontroverse ist in der Gemeinde selbst entstanden und führte zum Auszug der „doketischen Irrlehrer“ (1Joh 2,19).

 

1Joh 2,18-23: Meine Kinder, es ist die letzte Stunde. Ihr habt gehört, dass der Antichrist kommt, und jetzt sind viele Antichriste gekommen. Daran erkennen wir, dass es die letzte Stunde ist. Sie sind aus unserer Mitte gekommen, aber sie gehörten nicht zu uns; denn wenn sie zu uns gehört hätten, wären sie bei uns geblieben. Es sollte aber offenbar werden, dass sie alle nicht zu uns gehörten. Ihr habt die Salbung (gemeint: das vom Geist eingegebene Wort) von dem, der heilig ist, und ihr alle wisst es. Ich schreibe euch nicht, dass ihr die Wahrheit nicht wisst, sondern ich schreibe euch, dass ihr sie wisst und dass keine Lüge von der Wahrheit stammt. Wer ist der Lügner - wenn nicht der, der leugnet, dass Jesus der Christus ist? Das ist der Antichrist: wer den Vater und den Sohn leugnet. Wer leugnet, dass Jesus der Sohn ist, hat auch den Vater nicht; wer bekennt, dass er der Sohn ist, hat auch den Vater.

 

1Joh 4,1‑4: Liebe Brüder, traut nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt hinausgezogen. Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der bekennt, Jesus Christus sei im Fleisch gekommen, ist aus Gott. Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott. Das ist der Geist des Antichrists, über den ihr gehört habt, dass er kommt. Jetzt ist er schon in der Welt. Ihr aber, meine Kinder, seid aus Gott und habt sie besiegt; denn Er, der in euch ist, ist größer als jener, der in der Welt ist.

 

Auch im Johannesevangelium haben diese Kontroversen bezüglich der irdischen Realität des Erlösers und des von ihm gebrachten Heils ihre Spuren hinterlassen („Überarbeitung“): „antidoketische“ Position im Prolog (Joh 1,14: Inkarnation = Fleischwerdung des göttlichen Logos). Die Wunder Jesu werden überdeutlich als real‑materielle Ereignisse gezeichnet (z.B. Joh 9,6: Paste aus Speichel und Staub zur Blindenheilung; Joh 11,39: verwesender Leichnam des Lazarus riecht schon). Die Heilszueignung durch die Sakramente wird ebenso real‑greifbar beschrieben: Joh 3,5: „Geburt durch Wasser und Geist“ (Taufe); Joh 6,53: „essen (= kauen) und trinken des Fleisches und Blutes des Menschensohnes“. Die physische Realität des Sterbens Jesu am Kreuz wird durch die „Lanzenstich‑Szene“ (Joh 19,13f) unterstrichen. Die Identität des Auferstandenen mit dem zuvor Gekreuzigten wird unterstrichen („Wundmale“ Joh  20,20, Joh 20,24ff).

 

Die Spaltung klingt mehrfach durch. Nach den „harten Worten“ über die Konkretheit des eucharistischen Essens von Fleisch und Trinkens vom Blut des Menschensohnes Jesus verlassen ihn viele von seinen Jüngern (Joh 6,60‑71) und Jesus fragt die Zwölf: „Wollt auch ihr weggehen?“ In den Abschiedsreden, die ja offen in die Zukunft der Gemeinde blicken, sind „Bleiben" (Joh 15) und "Einheit der Glaubenden " (Joh 17,20 ff) so wichtige Themen, dass man vermuten kann, dass die johanneische Gemeinde tatsächlich auch die Erfahrung des Gegenteils (Weggehen und Zwietracht) gemacht hat.

 

Joh 6,66-71: Viele seiner Jünger, die ihm zuhörten, sagten: Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören? Jesus erkannte, dass seine Jünger darüber murrten, und fragte sie: Daran nehmt ihr Anstoß? Was werdet ihr sagen, wenn ihr den Menschensohn hinaufsteigen seht, dorthin, wo er vorher war? Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben. Aber es gibt unter euch einige, die nicht glauben. Jesus wusste nämlich von Anfang an, welche es waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. Und er sagte: Deshalb habe ich zu euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist. Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Jesus erwiderte: Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt? Und doch ist einer von euch ein Teufel. Er sprach von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot; denn dieser sollte ihn verraten: einer der Zwölf.

 

2. Trauma der johanneischen Gemeinden: Zerbrechen der Einheit mit dem Judentum (Spaltung nach außen)

 

Die Darstellung „der Juden“ im Johannesevangelium und ihre Rolle als Gegner Jesu ist in hohem Maße typisiert und (ist und) war durch die Jahrhunderte ein wichtiger Faktor in der antijüdischen / antisemitischen Tradition der christlichen Kirchen. Historisch spiegeln sich darin der Konflikt und die Trennungsgeschichte der johanneischen Gemeinden vom Synagogenjudentum wider.

 

Anders als bei den Synoptikern (= Matthäus, Markus, Lukas) setzt sich der johanneische Jesus mit „den Juden“ als Einheitsfront auseinander und damit werden so die negativ‑ablehnenden Gesprächspartner Jesu bezeichnet. „Die Juden“ erscheint im Johannesevangelium somit deutlich als „Außenbezeichnung“, als Bezeichnung einer Gruppe, die jemand vornimmt, der selbst nicht bzw. nicht mehr zu dieser Gruppe gehört. Diese Außenbezeichnung ist im Johannesevangelium zumeist negativ besetzt, neutrale und positive Verwendungen sind rare Ausnahmen.

 

Neutrale Verwendung des Wortes „Juden“:

 

Joh 2,6: Es standen dort sechs steinerne Wasserkrüge, wie es der Reinigungsvorschrift der Juden entsprach; jeder fasste ungefähr hundert Liter.

Joh 2,13: Das Paschafest der Juden war nahe, und Jesus zog nach Jerusalem hinauf.

Joh 3,1: Es war ein Pharisäer namens Nikodemus, ein führender Mann unter den Juden.

Joh 4,9: Die samaritische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.

Joh 5,1: Einige Zeit später war ein Fest der Juden, und Jesus ging hinauf nach Jerusalem.

Joh 11,55: Das Paschafest der Juden war nahe, und viele zogen schon vor dem Paschafest aus dem ganzen Land nach Jerusalem hinauf, um sich zu heiligen.

 

Positive Verwendung des Wortes „Juden“:

 

Joh 7,40-43: Einige aus dem Volk sagten, als sie diese Worte hörten: Er ist wahrhaftig der Prophet. Andere sagten: Er ist der Messias. Wieder andere sagten: Kommt denn der Messias aus Galiläa? Sagt nicht die Schrift: Der Messias kommt aus dem Geschlecht Davids und aus dem Dorf Bethlehem, wo David lebte? So entstand seinetwegen eine Spaltung in der Menge.

Joh 8,31: Da sagte er zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger.

Joh 11,45: Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.

 

Die „Juden“ werden zum Symbol für Ungläubige. „Ist Jesus Gott?“ Der Eingottglaube ist für Juden in Gefahr. Die johanneischen Gemeinden spüren: „Alle sind gegen uns!“ und verwenden daher immer mehr eine „Insidersprache“. Diese Ausgrenzung verursacht eine innere Solidarisierung: „Wir kennen die Wahrheit!“

 

Joh 8,42-47: Jesus sagte zu ihnen: Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben; denn von Gott bin ich ausgegangen und gekommen. Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er hat mich gesandt. Warum versteht ihr nicht, was ich sage? Weil ihr nicht imstande seid, mein Wort zu hören. Ihr habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge. Mir aber glaubt ihr nicht, weil ich die Wahrheit sage. Wer von euch kann mir eine Sünde nachweisen? Wenn ich die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht? Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes; ihr hört sie deshalb nicht, weil ihr nicht aus Gott seid.

 

Der negativen Sicht der johanneischen Gemeinde über „die Juden“ korrespondieren Hinweise über einen Synagogenausschluss: Wer Jesus als Christus bekennt, soll aus der Synagoge ausgestoßen werden. Die johanneischen Christen wurden zu Ketzern erklärt, blieben religiös wie sozial entwurzelt zurück. Innerhalb der erzählten Geschichte Jesu stellt diese Ausdrucksweise einen Anachronismus dar: Der Synagogenausschluss von jüdischen Jesusanhängern und -anhängerinnen gehört nicht in die Jesuszeit, sondern spiegelt Erfahrungen des Evangelisten und der Gemeinde wider.

 

Joh 9,22: Das sagten seine Eltern, weil sie sich vor den Juden fürchteten; denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn als den Messias bekenne, aus der Synagoge auszustoßen.

Joh 9,34f: Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus. Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn?

Joh 12,42: Dennoch kamen sogar von den führenden Männern viele zum Glauben an ihn; aber wegen der Pharisäer bekannten sie es nicht offen, um nicht aus der Synagoge ausgestoßen zu werden.

Joh 16,2: Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen, ja es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott einen heiligen Dienst zu leisten.

 

Die johanneische Gemeindegeschichte im Modell von R. E.  Brown

 

Frühphase (vor der Abfassung des Johannesevangeliums, ca. 50‑80):

 

Die Gründungsgruppe des johanneischen Christentums in Palästina setzt sich zunächst aus Judenchristen mit „normal‑jüdischer“ Einstellung und ehemaligen Täuferanhängern zusammen. Geprägt und geleitet wird diese Gruppe von einem Jünger, der Jesus noch gekannt hatte, der aber nicht zum Kreis der galiläischen Jünger (Apostel) gehörte („Geliebter Jünger“). Zu dieser johanneischen Frühgruppe stoßen bald hellenistische Judenchristen mit stark tempelkritischer Einstellung. Die Aufnahme dieser zweiten Gruppe führt zur Entwicklung einer betonten Hochchristologie, die von hellenistischen Denkmustern beeinflusst ist (Jesus ist präexistenter Logos Gottes!). Dadurch geraten die johanneischen Christen in Konflikt mit dem Judentum, das sich nach 70 neu als pharisäisch‑rabbinische Orthodoxie konstituiert: Die johanneische Hochchristologie wird als Angriff auf den Monotheismus empfunden: Synagogenausschluss!

 

Zweite Phase (Zeit der Entstehung des Johannesevangeliums, ca. 90):

 

Möglicherweise übersiedeln einige johanneische Gemeinden in die griechische Diaspora und widmen sich der Heidenmission.

 

Joh 7,35: Da sagten die Juden zueinander: Wohin will er denn gehen, dass wir ihn nicht mehr finden können? Will er in die Diaspora zu den Griechen gehen und die Griechen lehren?

 

Die Isolation, in die sie durch den Synagogenausschluss und ihre theologische Sondergestalt innerhalb des Urchristentums geraten waren, führt zur Ausprägung einer dualistischen Grundeinstellung (schwarz-weiß-Darstellung: wir <-> die Welt, wir <-> die Juden; Glaube <-> Ablehnung; Liebe <‑> Hass) und zu einer weiteren Steigerung der Christologie (radikal außerirdische Herkunft Jesu von Gott). Die Jesusdarstellung des Johannesevangeliums spiegelt die vergangenen Konflikte der Gemeinde mit der Synagoge („die Juden“ als Gegner Jesu) und ihre jetzige Isolation (Jesus redet vor einer Zuhörerschaft, die ihn mehrheitlich nicht verstehen kann / will) wider: Die gescheiterten Streitgespräche Jesu über seine Identität sind Reflex des abgebrochenen Gesprächs der johanneischen Gemeinde mit der Synagoge.

 

Joh 8,42-47: Jesus sagte zu ihnen: Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben; denn von Gott bin ich ausgegangen und gekommen. Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er hat mich gesandt. Warum versteht ihr nicht, was ich sage? Weil ihr nicht imstande seid, mein Wort zu hören. Ihr habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge. Mir aber glaubt ihr nicht, weil ich die Wahrheit sage. Wer von euch kann mir eine Sünde nachweisen? Wenn ich die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht? Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes; ihr hört sie deshalb nicht, weil ihr nicht aus Gott seid.

 

Dritte Phase (Zeit der Entstehung der Johannesbriefe, ca. 100):

 

Diese schwierige Situation führt zu innergemeindlichen christologischen Auseinandersetzungen und zur Spaltung. Eine Gruppe von „Dissidenten“ steigert die dualistische, weltfeindliche Haltung bis zu einer Christologie, die den Erlöser und Offenbarer nicht mehr als wahrhaft „in die Welt und in das Fleisch gekommen“ verstehen kann. Sie lehrt eine „doketische Häresie“, für die das real‑irdische Leben Christi ebenso wenig Heilsbedeutung hat wie das ethisch‑konkrete Leben der Gläubigen. Bloßer Glaube und Gnosis (= Erkenntnis) vermitteln bereits jetzt endgültig das Heil. Gegen diese Gruppe vertritt der Verfasser der Johannesbriefe die irdisch‑geschichtliche Realität des Gottessohnes (Inkarnation), fordert zum entschiedenen ethischen Tun (Liebesgebot!) auf und ermahnt die in der Gemeinde Verbliebenen zur bewussten Einheit.

 

Vierte Phase (nach den Briefen, frühes 2. Jh.):

 

Die Mehrzahl der Mitglieder hat mit den Dissidenten die Gemeinde verlassen und entwickelt sich in die Richtung der gnostischen Häresien weiter (Die Welt ist nicht Geschöpf Gottes. Nicht nur der Erlöser ist außerweltlich‑göttlichen Ursprungs, sondern auch die Gläubigen = Erkennenden). Die verbleibenden johanneischen Christen schließen sich der entstehenden „Großkirche“ an, akzeptieren deren Amtsverfassung, bringen jedoch ihrerseits ihre Christologie und Traditionen in Form des Vierten Evangeliums („bleibendes Zeugnis des Lieblingsjüngers“) ein. Das Nachtrags‑Kapitel 21 wird diesem Buch beigegeben und deutet diesen Fusionsprozess schon an.

Erhard Eibensteiner

 

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„Überfließende Gerechtigkeit“ als grenzenlose Zuwendung

 

Matthäus als Anwalt der Vision Jesu

 

Einige Jahre nach der Zerstörung Jerusalems durch die römischen Truppen im Jahr 70 n. Chr. macht sich der gebildete Lehrer Matthäus an die Arbeit. Er hat das Markusevangelium gelesen und auch eine Sammlung von Jesusworten gefunden. Er ist davon überzeugt, dass Jesus nicht nur für Juden, sondern für alle Völker lebenswichtige Bedeutung hat. Damit möglichst viele sein Werk verstehen, schreibt er in griechischer Sprache. Manches deutet darauf hin, dass er in Syrien zuhause ist.

 

„Was muss ich unbedingt tun, um in den Himmel zu kommen?“ ‑ Gegen Fragen solcher Art ist Matthäus genauso wie sein großes Ideal Jesus aus Nazaret allergisch. Geht es wirklich nur darum, gerade so viel zu tun, um auch im Jenseits zu den Glücklichen zu gehören? Ist solch ein ethischer Minimalismus tatsächlich die Erfüllung eines Menschenlebens? In der Predigt Jesu findet er drastische Aussagen: Jesus sagt, es genüge nicht, den Mitmenschen gerade noch am Leben zu erhalten, man darf ihm nicht einmal zürnen (5,21f); es genügt nicht, keinen Ehebruch zu begehen, die Liebe zur Ehefrau sollte nicht einmal den ernsthaften Wunsch danach aufkommen lassen (5,27f); es genügt nicht, Böses mit nur angemessen Bösem zu vergelten, man soll sich überhaupt nicht rächen (5,38f). Die Hingabe Jesu am Kreuz ist wohl die eindrucksvollste Verwirklichung jener „überfließenden Gerechtigkeit“ (5,20), durch die Matthäus das ideale christliche Lebenskonzept beschreibt. Sie findet ihren Höhepunkt in der Feindesliebe (5,44). Eine entgrenzte Liebe ‑ das ist es, was unseren Evangelisten an Jesus fasziniert!

 

Antisemitismus?

 

Jene, die auf Grund ihrer engherzigen und kleinlichen Sicht wiederholt die Schelte Jesu abbekommen, sind die Pharisäer und die Schriftgelehrten. Ja, Matthäus ‑ selbst ein jüdischer Christ ‑ leidet daran, dass gerade seine eigenen Leute mehrheitlich Jesus ablehnen. Wie kann - so fragt er sich ‑ ein gläubiger Mensch, der die hebräischen heiligen Schriften kennt, gegen Jesus sein? Seine Antwort: Die meisten Juden lehnen in Jesus ganz bewusst Gottes Willen ab. Diese Verweigerung veranschaulicht Matthäus etwa durch jenen Ruf des jüdischen Volkes bei der Passion Jesu: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ (27,25). Das klingt antisemitisch und wurde leider oft und oft so missbraucht. Doch es ist der Jude Matthäus, der sein ohnmächtiges Unverständnis und sein Leiden an der Missachtung Jesu durch seine eigenen Leute zum Ausdruck bringt! Wer genauer liest, wird weiters unschwer erkennen, dass der Tadel, den Jesus an die Pharisäer und Schriftgelehrten richtet, ebenso an die christliche Gemeinde des Matthäus gerichtet ist. Denn die Wehe‑Rede Jesu an die jüdischen Autoritäten in Kapitel 23 ist ja zuerst eine Predigt an die christlichen Brüder und Schwestern (siehe Vers 1). Auch die Jünger Jesu sind in Gefahr, einen veräußerlichten, heuchlerischen, auf Ehrentitel bedachten Glauben zu leben.

 

Eine Kirche für alle

 

Anders als bei Markus sind in diesem ersten Buch des NT die Jünger Jesu in manchen Texten Vorbilder für christliche Gemeinden. In ihnen spiegelt sich die ideale Kirche, von der übrigens in den Evangelien nur bei Matthäus zweimal ausdrücklich die Rede ist (16,18:18,18). Im Gegensatz zu Markus sind hier die Jünger Jesu nach dem Seewandel Jesu nicht unverständig, sondern bekennen ihn als Sohn Gottes (14,33). Die ehrgeizige Bitte der Zebedäussöhne an Jesus, er möge sie in seinem Reich an seiner Seite sitzen lassen (Mk 10,37), legt Matthäus deren Mutter in den Mund (Mt 20,20). Auch an der Person des späteren Jerusalemer Gemeindeleiters Petrus ist der Evangelist noch mehr als die anderen interessiert.

 

Von Anfang an beherrscht ein Thema das Matthäus-Evangelium: Jesus ist die Offenbarung Gottes nicht nur für die Juden, sondern für alle Völker. Ohne damit anderen Religionen ihre Wahrheiten absprechen zu wollen, gilt das auch heute. Angefangen von den nicht‑jüdischen Frauen im Stammbaum Jesu über die Reise der nicht‑jüdischen Magier zum neugeborenen Jesus bis hin zum grandlosen Finale „Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern“ (28,19) ist diese Schrift eine Einladung an alle Menschen.

Dr. Roland Schwarz

 

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Paulus und die Frauen

 

Verbietet Paulus den Frauen wirklich das Wort? Geht das überhaupt?

 

Eph 5,21-33: Einer ordne sich dem andern unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus. Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn (Christus); denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; er hat sie gerettet, denn sie ist sein Leib. Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, sollen sich die Frauen in allem den Männern unterordnen. Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos. Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Keiner hat je seinen eigenen Leib gehasst, sondern er nährt und pflegt ihn, wie auch Christus die Kirche. Denn wir sind Glieder seines Leibes. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche. Was euch angeht, so liebe jeder von euch seine Frau wie sich selbst, die Frau aber ehre den Mann.

 

Wenn Sie, geneigter Leser, diesen Text lesen, stößt es Sie sicher sauer auf. Mich auch. Und das hat Paulus geschrieben? Viele „Fromme“ bis die kirchliche Hierarchie sagen das.

 

Ich darf Sie beruhigen, das hat Paulus nicht geschrieben.  Den Epheserbrief hat Paulus wirklich nicht geschrieben. Dieser Brief an die Gemeinde in Ephesos wurde um 90 n. Chr. geschrieben. Da war Paulus schon ungefähr 25 Jahre tot.

 

Nein, Paulus klingt ganz anders: Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus (Gal 3,28). Dass alle in Christus «einer» sind, heißt, dass alle Christen eine Einheit bilden, und auch, dass sie vor Gott gleich sind.

 

Der Brief an die Galater, sein zweiter Brief, ist der am schärfsten formulierte Brief des Paulus, etwa 48 bis 50 nChr geschrieben. Ihm war es ein Anliegen, die Gleichwertigkeit von Frau und Mann herauszustreichen, da nachkommende jüdische Prediger die Vorherrschaft der Männer sowie die Kult- und Speisegesetze in der Gemeinde des Paulus wiederherstellen wollten.

 

Was ist nun mit dem Brief an die Epheser? Den hat ein anderer im Namen des Paulus geschrieben. So etwas wie ein Copyright der heutigen Zeit gab es vor 1900 Jahren nicht. Es gibt mehrere „Paulusbriefe“, die Paulus sicher nicht geschrieben hat: den Brief an die Kolosser, den zweiten Brief an die Thessalonicher, den ersten und zweiten Brief an Timotheus, den Brief an Titus, den Brief an die Hebräer. Alle diese so genannten „unechten Paulusbriefe“ wurden um die erste Jahrhundertwende geschrieben. In dieser Zeit wurden in den Gemeinden bereits „Ämter“ eingeführt, es bildete sich eine Hierarchie („Heilige Ordnung“) mit Laien und Presbytern („hörende und lehrende Kirche“). Sehr modern waren „Haustafeln“, die Ordnung in Familien und Gemeinden bringen sollten. In den „unechten Paulusbriefen“ finden wir mehrere solcher Haustafeln, am Beginn dieses Artikels ist eine solche zitiert.

 

Etwas kann ich zur Ehrenrettung dieser Haustafel schon sagen: Wer seine Frau echt so liebt, wie Christus seine Kirche liebt, der führt sicher eine gute Ehe. Wer sie so liebt wie sich selbst, na ja, das kann möglicherweise nicht gut gehen.

Erhard Eibensteiner

 

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Wir ahnen: Gott ist zwar einer, er ist aber keine auf sich selbst bezogene Person, sondern Einheit in Vielfalt.

 

Drei und doch eins

 

Die Ikone vom Besuch der drei Männer antwortet auf die Frage nach dem Wesen Gottes. Schon in der alten Kirche versuchten Künstler, das Geheimnis des dreieinigen Gottes im Bild darzustellen. Als aussagekräftigster Versuch erwies sich die Darstellung des „Besuches der drei Männer bei Abraham und Sara“ (Gen 18). Diese alttestamentliche Begebenheit wurde schon von frühen Theologen als Vorausnahme der Offenbarung Gottes als drei Personen, d. h. als voneinander unterschiedene Wirklichkeiten eines Einzigen verstanden. Auf der Ikone sehen wir im Hintergrund die Felsenlandschaft und die Eiche von Mamre sowie eine Architektur, die das Haus Abrahams andeutet. Die drei Wanderer sitzen um einen blockförmigen Tisch, ein Gefäß deutet das Mahl an, mit dem Abraham und Sara ihre Gäste bewirten. Die Männer halten Wanderstäbe in den Händen; ihre Flügel deuten an, dass sie keine gewöhnlichen Wanderer sind. In der Tat - Abraham erkennt im Laufe des Gesprächs mit seinen Gästen, dass auf geheimnisvolle Weise Gott bei ihm eingekehrt ist. Die drei Männer sind so um den Tisch gruppiert, dass sie eine Einheit bilden. Würde man eine der Gestalten aus der Gruppe herausnehmen, wäre ihre Einheit zerstört.

 

Weiter fällt auf, dass sie von gleicher Gestalt, von gleichem Aussehen und gleichem Alter sind. Wir ahnen: Gott ist zwar einer, er ist aber keine auf sich selbst bezogene Person, sondern Einheit in Vielfalt. Um dies zu begreifen, braucht es das Bild der drei Personen, die aber nicht drei Götter, sondern eines Wesens sind.

 

Unter ihnen herrscht weder Uniformität noch Statik, sondern ein dynamisches Miteinander. Der rechte und der mittlere Wanderer neigen sich zum linken, der aufrecht sitzt. Unbeschadet der Gleichheit aller kommt diesem dadurch eine besondere Stellung zu. Schauen wir jedoch auf die Hände, stellen wir eine Gegenbewegung fest. Die rechte Hand des linken Mannes ist zum Segen erhoben, die Rechte des Mittleren zeigt zum rechten, dieser wiederum auf den freien Raum vor dem Tisch. Die drei Männer sind also keine in sich abgeschlossene Gruppe, sondern laden ein, in ihre Gemeinschaft zu kommen. Wir deuten die Personen - links der Vater, von dem aller Segen ausgeht, in der Mitte der Sohn, Jesus, der der Mittler des Segens des Vaters ist, und rechts der Heilige Geist, der uns das Wesen des Vaters und das Wirken des Sohnes erschließt und einlädt, uns auf das Geheimnis, das Gott ist, einzulassen. Der Tisch, um den die drei sitzen, ist kein gewöhnlicher Tisch, sondern ein Altar mit der Öffnung, die zum Aufnehmen von Reliquien bestimmt ist. Altar und Kelch deuten an, wodurch uns Gott den Zugang in seine Gemeinschaft ermöglicht: durch seine Hingabe an uns Menschen.

Hanns Sauter, gefunden von Erich Graf

 

 

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Peter Knauer SJ

 

»Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria«

 

Gedruckt in:
Klaus Hofmeister / Lothar Bauerochse (Hg.), Bekenntnis und Zeitgeist – Das christliche Glaubensbekenntnis neu befragt, Würzburg: Echter 1997 (ISBN 3-429-01938-9), 82–94.

 

Zusammenfassung:

 

Glaubensaussagen werden nicht nur anders erkannt, sondern haben auch einen anderen Gegenstand als Vernunftaussagen (DH 3015). Zum Verständnis der Formulierung des Glaubensbekenntnisses ist es hilfreich, die Aussage des Johannesprologs heranzuziehen, der von überhaupt allen Glaubenden eine Jungfrauengeburt aussagt: sie seien »nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren«. Ein naturwissenschaftliches Verständnis von Jungfrauengeburt in Bezug auf Jesus Christus ist auch mit dem christologischen Dogma von Chalcedon (DS 301f) unvereinbar.

 

I.

 

Die Jungfrauengeburt gilt als eine der heute am schwersten zugänglichen Aussagen im Glaubensbekenntnis. Wie soll eine Frau ein Kind bekommen und doch jungfräulich bleiben? Dagegen gibt es manchen Einwand.

 

Im Lukasevangelium fragt Maria zwar, als ihr die Geburt eines Sohnes angekündigt wird: »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?« (Lk 1,34). Aber sowohl Matthäus wie Lukas bringen einen Stammbaum Jesu, in welchem sie die Vorfahren nicht Marias, sondern Josefs nennen. In den Evangelien ist auch mehrfach problemlos von der Mutter Jesu »und seinen Brüdern« die Rede (Mt 12,46f; Lk 8,19f). Nach Lukas spricht Maria selbst ganz normal von Josef als dem Vater Jesu. Bei der Rückkehr von der Wallfahrt nach Jerusalem war der zwölfjährige Jesus seinen Eltern (Lk 2,41) verloren gegangen. Als sie ihn nach drei Tagen Suche im Tempel wiederfinden, sagt Maria: »Kind, warum hast du uns das getan? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.« (Lk 2,48)

 

Auffallend ist hier nur die Antwort Jesu: »Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?« (Lk 2,49) Er nimmt also das Wort »Vater« auf, aber gebraucht es in einem ganz anderen Sinn. Er spricht von seinem Vater im Himmel. 

 

II.

 

Die Rede von einer Jungfrauengeburt erscheint uns heute als die Behauptung einer Durchbrechung von Naturgesetzen.

Aber auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die katholische Kirche ausdrücklich erklärt: Gottes Zuwendung zur Welt »nimmt der zeitlichen Ordnung in keiner Weise ihre Autonomie, ihre eigenen Ziele, Gesetze, Methoden und ihre eigene Bedeutung für das Wohl der Menschen« (AA 7,2). Und bereits im vergangenen Jahrhundert hatte das Erste Vatikanische Konzil die Eigengesetzlichkeit der geschaffenen Wirklichkeiten betont (vgl. DH 3019). Wird dies nicht alles wieder in Frage gestellt, wenn man auf der Lehre von der Jungfrauengeburt beharrt?

 

III.

 

In der Antike begegnet man immer wieder in den verschiedensten Mythen der Vorstellung, dass irgendein Königssohn von einer Jungfrau geboren sei. Sogar über den berühmten Philosophen Plato, den man den göttlichen Plato nannte, oder über Alexander den Großen hieß es, sie seien von einer Jungfrau geboren, ohne Zutun eines Mannes. Hat sich vielleicht das christliche Glaubensbekenntnis nur solchen Redeweisen angepasst?

 

Gegen eine solche Ableitung aus griechischen oder ägyptischen Mythen spricht, dass im Neuen Testament nicht nur der Vater Jesu relativiert wird, sondern auch seine Mutter. So wird Jesus im Hebräerbrief mit dem Priester Melchisedek verglichen, der einst Abraham begegnete. Von Melchisedek heißt es hier: »Er, der ohne Vater, ohne Mutter und ohne Stammbaum ist, ohne Anfang seiner Tage und ohne Ende seines Lebens, ein Abbild des Sohnes Gottes.« (Hebr 7,3)  

 

IV.

 

Der Haupteinwand gegen die Glaubensaussage von der Jungfrauengeburt ist, dass sie für den Glauben nicht zentral zu sein scheint. Muss es nicht in allen Glaubenssätzen um unser Heil gehen? Jesus ist der Sohn Gottes, der den Menschen Gemeinschaft mit dem Vater schenkt. Braucht man dazu die Jungfrauengeburt?  

 

V.

 

Der Weg zum Verständnis des Satzes »Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria« führt nach meiner Überzeugung über den Anfang des Johannesevangeliums. Es heißt dort: »Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns Wohnung genommen, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.« (Joh 1,9-14)

 

Hier wird von allen, die Jesus Christus annehmen, also auch von allen, die das Glaubensbekenntnis beten, gesagt: Sie sind »nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren«.

 

Nicht nur von Jesus, sondern von allen Glaubenden gilt, dass sie als Glaubende nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Aber niemand kommt auf den Gedanken, damit werde bestritten, dass die Glaubenden wie alle anderen Menschen in der Welt einen Vater und eine Mutter haben.

 

Angenommen, wir nehmen die Aussage ernst, dass alle Glaubenden »nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind«. Läge es dann nicht nahe, dass die Rede von der Jungfrauengeburt auch in Bezug auf Jesus das gleiche bedeutet?

 

Tatsächlich gibt es in einer frühen Handschrift des Johannesevangeliums eine Textvariante, die diese Formulierung ausdrücklich auf Jesus selbst anwendet. Sie lautet: »Er gab ihnen Macht, Kinder Gottes zu werden, er, der nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren ist.« 

 

VI.

 

Zum Verständnis des Glaubenssatzes von der Jungfrauengeburt Jesu ist es hilfreich, ihn im Zusammenhang des ganzen Glaubensbekenntnisses zu bedenken. Man kann das Glaubensbekenntnis in einem einzigen Satz zusammenfassen. An Jesus als den Sohn Gottes glauben bedeutet:

Wir sind von Gott mit der Liebe angenommen, in der er von Ewigkeit her ihn als seinen eigenen Sohn liebt.

 

Dass Jesus Gottes Sohn ist, versteht man nur dann in seinem wirklichen Sinn, wenn man bedenkt: Es geht dabei zugleich um das eigene Verhältnis zu Gott. Wir haben durch Jesus und nur durch ihn Gemeinschaft mit Gott. Der christliche Glaube bekennt, dass Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist existiert. Der Vater liebt den Sohn von Ewigkeit her. Diese ewige Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn ist selbst Gott, der Heilige Geist. Wir Menschen, so sagt die christliche Botschaft, sind in diese Liebe des Vaters zum Sohn hineingeschaffen.

 

Von der Dreifaltigkeit Gottes sprechen heißt also zugleich, von der eigenen Gemeinschaft mit Gott sprechen. Es bedeutet, in die Liebe des Vaters zum Sohn hineingenommen zu sein und deshalb so in Gott geborgen zu sein, dass man nicht mehr aus der Angst um sich selbst lebt. Sodann ist von der Menschwerdung des Sohnes die Rede, um zu erklären, woher man um diese Dreifaltigkeit Gottes weiß: nämlich durch Gottes Wort. »Wort« ist Kommunikation unter Menschen. »Wort Gottes« besagt, dass in mitmenschlichem Wort - und ein anderes Wort kennen wir überhaupt nicht – Gott selber sich den Menschen zugewandt hat. Der Begriff »Wort Gottes« ist letztlich nur unter dieser Bedingung sinnvoll: Der ursprüngliche Sprecher dieses Wortes ist zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott.

 

Das sind die Themen des christlichen Glaubensbekenntnisses. Es hat drei Hauptabschnitte. Zuerst spricht es vom Vater, dem Schöpfer der Welt. Dann ist vom Sohn die Rede, erst in der Ewigkeit Gottes, dann in seiner Sendung in unsere Zeit, in seiner Menschwerdung. Am Schluss geht es um den Heiligen Geist, wieder zunächst in der Ewigkeit Gottes und dann in seiner Sendung in unsere Zeit. Der Sohn Gottes hat in Jesus eine individuelle Menschennatur angenommen. Ganz entsprechend hat der Heilige Geist die Glaubenden in ihrer Verbundenheit untereinander zum Ort seiner Gegenwart gemacht (vgl. LG 8,1).

 

Aber diese Reihenfolge im Glaubensbekenntnis: »Vater – Sohn - Heiliger Geist« ist an einer Stelle durchbrochen. Vom Heiligen Geist, dem eigentlich erst der dritte Abschnitt des Glaubensbekenntnisses gewidmet ist, wird bereits im zweiten Abschnitt gesprochen, und zwar bei der Menschwerdung des Sohnes. Es handelt sich um unsere Stelle: »Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria«.

 

Man kann dies so deuten: An Maria erweist sich der Heilige Geist als die Liebe des Vaters zum Sohn und gerade so zugleich als die Liebe, mit welcher der Vater den Sohn in die Welt sendet.

 

Erst im dritten Abschnitt des Glaubensbekenntnisses ist dann ausführlich vom Heiligen Geist und der Kirche die Rede. In der Kirche erweist sich der Heilige Geist als die antwortende, zurückkehrende Liebe des Sohnes zum Vater. In sie sind die Glaubenden aufgenommen, in sie stimmen sie ein.

 

Es besteht also eine Entsprechung zwischen dem, was man im Glauben von Maria sagt, und dem, was dann über die Kirche gesagt wird. Als die Liebe des Vaters zum Sohn offenbart sich der Heilige Geist an Maria. Als die antwortende Liebe des Sohnes zum Vater ist er ausgegossen in die Herzen der Gläubigen. In ihm haben sie Zugang zum Vater. »Empfangen durch den Heiligen Geist« heißt also, dass der Heilige Geist die Liebe ist, mit welcher der Vater den Sohn sendet und ihn menschliche Natur annehmen lässt.

 

Auch die Rede von der Jungfrauengeburt muss von daher verstanden werden: Es geht um eine Glaubensaussage, deren Wahrheit man nur im Heiligen Geist erkennen kann. Sie hat einen anderen Inhalt und eine andere Bedeutung als eine naturwissenschaftliche Aussage. 

 

VII.

 

Eine weitere Hilfe zum Verständnis bietet die christologische Glaubensaussage des Konzils von Chalcedon aus dem Jahre 451. Das Konzil sagt – und dies ist eine Art Notenschlüssel für die ganze christliche Botschaft –, dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, beides voneinander verschieden und beides aufeinander bezogen. Und es heißt dann, dass das Gottsein Jesu sich auf sein Menschsein nur in der Weise auswirkt, dass er »ohne Sünde« ist. Jesus ist in seinem Menschsein »in allem uns gleich, außer der Sünde«. (DH 301) Jesus steht also nicht unter der Macht der Angst um sich selbst, die sonst die Wurzel alles Bösen ist. Er befreit sogar auch andere aus der Macht ihrer Angst um sich selbst.

 

Die Konzilsaussage endet mit dem Hinweis, dass »dies von uns in jeder Hinsicht mit aller Genauigkeit und Sorgfalt festgestellt worden ist« (DH 303). Es gibt also keinen anderen Unterschied Jesu in seinem Menschsein uns gegenüber als den, dass er ohne Sünde ist. Einen solchen anderen Unterschied würde man aber behaupten, wenn man die Jungfrauengeburt naturwissenschaftlich verstehen wollte. Das widerspräche dem Konzil von Chalcedon. 

 

VIII.

 

Es ist an dieser Stelle notwendig, allgemein über das Verhältnis von Glauben und Vernunft nachzudenken. Das Erste Vatikanische Konzil hat im letzten Jahrhundert mit großer Betonung eine richtungweisende Aussage gemacht, für die es sich auf die ständige Tradition der Kirche beruft: Vernunft und Glauben sind zwei verschiedene Erkenntnisordnungen. Sie unterscheiden sich nicht nur in der Erkenntnisweise, sondern auch in ihrem Inhalt oder Gegenstand. Der Unterschied in der Erkenntnisweise besteht darin, dass wir in der Vernunfterkenntnis mit unserer eigenen Kraft erkennen. Der Glaube dagegen ist das Erfülltsein vom Heiligen Geist. Im Inhalt unterscheiden sich Vernunft und Glauben so: Mit der Vernunft erkennen wir, was wir an der Welt selber ablesen können. Im Glauben erkennen wir, was wir nur durch das Wort Gottes erfahren können: Unser Geborgensein in der Liebe Gottes. (Vgl. DH 3015)

 

Glaube und Vernunft haben also verschiedenen Inhalt. Ein Glaubensgegenstand kann nicht mit der Vernunft erkannt werden, und umgekehrt kann kein Vernunftgegenstand jemals zum Glaubensgegenstand werden. Gegenstand unserer Vernunft ist die ganze weite Welt, die gesamte Wirklichkeit unserer Erfahrung einschließlich ihres Geschaffenseins. Alles von Gott Verschiedene ist Gegenstand unserer Vernunft und kann nicht geglaubt werden.

 

Aber was ist dann noch Gegenstand des Glaubens? Gegenstand des Glaubens ist allein Gottes Selbstmitteilung, nämlich dass wir in die ewige Liebe des Vaters zum Sohn aufgenommen sind. Diese Liebe ist der Heilige Geist. Alle sonstigen Glaubensaussagen müssen sich dadurch ausweisen, dass sie darauf zurückführbar sind. Gottes Liebe zu den Menschen ist ursprünglich die Liebe des Vaters zu seinem Sohn. Deshalb hat sie ihr Maß nicht an irgend etwas Geschaffenem. Sie ist nicht wechselhaft, sondern ewig und unbedingt. Nur deshalb kann man sich im Leben und im Sterben auf sie verlassen. Weil sie nicht an der Welt ablesbar ist, kann sie auch nicht mit der Vernunft erkannt werden. Gottes Liebe kann nur in der Weise offenbar werden, dass sie in einem Wort mitgeteilt wird und man sie sich glaubend gesagt sein lässt.

 

Wir können um unsere Gemeinschaft mit Gott nur auf Grund der Menschwerdung des Sohnes wissen. Denn nur weil Gott Mensch geworden ist, gibt es im strengen Sinn »Wort Gottes«. Ein »Wort« ist ja etwas, was ein Mensch einem anderen sagt.

 

Dass Jesus ein wahrer Mensch war, ist eine historische Aussage, deren Wahrheit bereits für die Vernunft erreichbar ist. Glaubensaussage dagegen ist, dass dieser Mensch Gottes Sohn ist und dass wir allein durch ihn Gemeinschaft mit Gott haben können und haben. Glaubensaussage ist, dass dieser Glaube das Erfülltsein vom Heiligen Geist bedeutet.

 

Ganz ähnlich gilt: Dass es die christliche Botschaft wirklich gibt, ist ein Sachverhalt, der bereits der Vernunft zugänglich ist. Aber die Wahrheit dieser Botschaft ist nur dem Glauben erkennbar.

 

Der heilige Paulus schreibt im ersten Korintherbrief: »Niemand kann sagen: Jesus ist Herr, außer im Heiligen Geist.« (1 Kor 12,3) Pilatus konnte nicht sehen, dass dieser erbärmliche und geschundene Mensch, der vor ihm stand, der Sohn Gottes von Ewigkeit her war. Dies wird als wahr nur im Glauben erkannt.

 

Der Glaube ist also etwas völlig anderes, als das, was man sonst manchmal auch als Glauben bezeichnet, was aber kein Glaube ist: beliebige Dinge fest für wahr zu halten oder auch sich mit bloßen Vermutungen an Stelle wirklichen Wissens zu begnügen. Man versteht den Satz »Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria« nur dann recht, wenn man ihn als eine Aussage über die Selbstmitteilung Gottes erfasst. Man muss sich also entscheiden. Denn nur eines von beidem ist möglich: Handelt es sich um eine Vernunftaussage über einen naturwissenschaftlichen und damit außerhalb des Glaubens erkennbaren Sachverhalt? Oder geht es tatsächlich um eine Glaubensaussage genauso wie die von der Gottessohnschaft Jesu, die ja auch naturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht zugänglich ist?

 

Hier kommen wir wieder auf die Bedeutung der Formulierung des Johannesprologs zurück. Sowohl von Jesus wie von allen an ihn Glaubenden gilt, dass sie nicht aus dem Fleisch, nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen eines Mannes geboren sind.

 

Das bedeutet, dass weder die Gottessohnschaft Jesu noch unser Erfülltsein von seinem Heiligen Geist ein Resultat irdischer Geschichte ist. Der Glaube ist nicht angeboren und wird auch nicht durch Abstammung vererbt. Auch die Gottessohnschaft Jesu ist nicht aus der Reihe seiner Vorfahren zu erklären und kommt nicht durch das Zutun eines Mannes zustande. Sie kann nicht einmal auf Maria zurückgeführt werden.

 

Entsprechend kann die Gotteskindschaft der Glaubenden auf keine Weise irdisch, etwa aus der biologischen Herkunft, erklärt werden. In diesem Sinn gilt sowohl von Jesus, dass er auf jungfräuliche Weise geboren wurde, wie auch von den Glaubenden, dass sie als Glaubende nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind.

 

IX.

 

Es gibt aber noch Einwände gegen diese einfache, wenn auch vielleicht ungewohnte Erläuterung. Wurde nicht die Jungfrauengeburt immer anders verstanden?

 

In der Geschichte des Christentums hat es das immer gegeben, dass zutreffende Aussagen dennoch missverstanden wurden. Als die Evolutionslehre aufkam, meinte man zunächst, sie widerspreche der traditionellen Lehre von der Schöpfung. Dabei war nur der Begriff »Schöpfung« nicht gründlich genug bedacht worden. Denn alles in unserer Welt, also auch die Evolution, geht restlos darin auf, ohne Gott gar nicht sein zu können.

 

X.

 

Gegen die Deutung vom Johannesprolog her wird zuweilen von Fachtheologen eingewandt, sie sei zu spiritualisierend, sie verstehe das Heil nicht »realistisch« genug. Wir glauben doch, so sagt man, dass der Sohn Gottes wirklich Menschennatur angenommen habe. Er habe Fleisch angenommen. Gottes Handeln sei doch kein bloßer Gedanke, sondern müsse sich physisch ausgewirkt haben. Deshalb müsse man die Jungfrauengeburt für geschichtlich halten. Sie müsse unbedingt biologisch verstanden werden.

 

Zu antworten ist: Erstens fiele der Vorwurf der Spiritualisierung auf den Evangelisten Johannes selber zurück, auf den sich der Einwand doch gerade beruft. Zweitens ist auch die Aussage über alle Glaubenden, dass sie nicht aus dem Wollen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind, kein bloßer Gedanke. Vielmehr geht es um eine Wirklichkeit, die sich auf uns als wirkliche geschichtliche Menschen bezieht. Wir, wirkliche Menschen aus Fleisch und Blut, sind als Glaubende ebenso wirklich aus Gott geboren.

 

Darin entsprechen die Glaubenden der Tatsache, dass der geschichtliche Mensch Jesus von Nazareth Gottes Sohn ist und man allein durch ihn Gemeinschaft mit Gott hat. Jesus ist der Sohn Gottes, wir denken dies nicht bloß von ihm. Aber nach der Glaubenslehre des Konzils von Chalcedon ändert dies nichts an seinem wahren Menschsein. Er ist nicht zu einem Übermenschen geworden.

 

In allen Glaubensaussagen geht es um Gottes Selbstmitteilung an seine Schöpfung, die der Ort der Geschichte ist. In diesem Sinn geht es immer um Geschichte. Aber daraus folgt weder eine physische, naturwissenschaftlich feststellbare Veränderung des wahren Menschseins Jesu noch eine physische Veränderung unserer Menschennatur. Mein Leib und meine Seele bleiben dieselben, auch wenn ich glaube und getauft werde.

 

Es ist ähnlich wie bei der Eucharistie. In ihr geschieht, dass der Glaube so von Jesus selbst lebt wie unser irdisches Leben von Speise und Trank. Und wir sagen dies nur von dem Brot und dem Wein aus, über welche die Worte des Abendmahlsberichts gesprochen worden sind: »Das ist mein Leib, das ist mein Blut.« Die eucharistischen Worte lassen die Wirklichkeit dieses konkreten geschichtlichen Sakraments erkennen.

 

Der Glaube bezieht sich immer auf geschöpfliche Wirklichkeit, deren Existenz nicht geglaubt wird, sondern der Vernunft zugänglich ist. Aber in Bezug auf diese geschaffene Wirklichkeit wird Gottes Selbstmitteilung ausgesagt. Sie ist als wahr allein dem Glauben, dem Erfülltsein vom Heiligen Geist, zugänglich.

 

Die in der Eucharistiefeier geschehende Wesensverwandlung kann nicht von einem Chemiker durch Analyse festgestellt werden. Wer dies meinte, würde verkennen, dass ein Glaubensgegenstand inhaltlich etwas anderes ist als ein Gegenstand der Vernunft. Aber damit ist weder unser Verständnis von Eucharistie noch das von Jungfrauengeburt ein rein spirituelles, sodass man ihm mit Recht den Vorwurf machen könnte, es sei nicht realistisch genug. Der wahre Heilsrealismus besteht darin, dass wir in Bezug auf ein wirkliches geschichtliches Geschöpf Gottes Selbstmitteilung bekennen. Auch der Mensch Jesus bleibt, wiewohl er von vornherein in das Personsein des ewigen Sohnes Gottes hineingeschaffen ist, ein ganz und gar wirklicher Mensch. Physisch hat sich nichts an ihm geändert. Als Säugling musste man ihn in Windeln wickeln wie jedes andere Kind.

 

So verhält es sich mit dem Wort Gottes überhaupt. Das Wort Gottes ist das mitmenschliche Wort der Weitergabe des Glaubens. Zum Beispiel besteht Wort Gottes darin, dass eine Mutter ihrem Kind den Glauben weitersagt. Das ist ein wirkliches menschliches Wort ohne irgendwelche Sondereigenschaften. Es ist nicht lautstärker und nicht wohlklingender als andere menschliche Worte. Auch wer stottert, kann beanspruchen, dass sein Wort der Weitergabe des Glaubens wirklich Gottes Wort ist. Gott erfüllt durch dieses mitmenschliche Wort den, der es glaubt, mit dem Heiligen Geist.

 

In der Eucharistie sind dieses Brot und dieser Wein der gegenwärtige Christus. Eine unsichtbare, nur dem Glauben zugängliche Wirklichkeit ist mit der sichtbaren Wirklichkeit verbunden. An deren Sichtbarkeit und Geschichtlichkeit hat sich nichts geändert. Das Brot schmeckt wie Brot, und der Wein schmeckt immer noch wie Wein. Und doch lebt man, wenn man dieses Brot isst und diesen Wein trinkt, wirklich von Christus selbst.

 

Ähnliches gilt von der Jungfrauengeburt. Die Gottessohnschaft ist in Bezug auf diesen wirklichen Menschen auszusagen. Sie lässt sich nicht aus seiner irdischen Vorgeschichte erklären. Ebenso sagen wir aber auch von uns aus, dass wir als Glaubende nicht Kinder unserer Eltern, sondern Gottes Kinder sind. Unsere Gemeinschaft mit Gott im Glauben ist unmittelbar.

 

XI.

 

Eine Jungfrauengeburt, die naturwissenschaftlich verstanden werden könnte, ist also auszuschließen. Doch bedeutet dies nicht eine Einschränkung der Allmacht Gottes? Kann Gottes Allmacht nicht, wo immer sie will, den natürlichen Lauf der Dinge unterbrechen? Man kann doch Gott nicht verbieten, Wunder zu tun. Manche Theologen sagen: Gott ist zwar unser Schöpfer, aber bei der natürlichen Zeugung eines Menschen durch Mann und Frau bediene er sich ihrer als Zweit- oder Zwischenursachen. Bei Jesus sei die zweitursächliche Vermittlung durch einen Vater weggefallen. Gott habe unmittelbar als Schöpfer eingegriffen.

 

In einer solchen Behauptung wird verkannt, dass jede geschaffene Wirklichkeit in allem, worin sie sich vom Nichts unterscheidet, ohne das Schöpferwirken Gottes gar nicht sein kann. Für eine »zweitursächliche Vermittlung« bleibt grundsätzlich kein Raum, weder bei der menschlichen Natur Jesu, noch bei irgendeinem anderen Geschöpf. Im Verhältnis des Geschöpfes zum Schöpfer gibt es keine Zwischenursachen. Man darf Schöpfung nicht auf den Urknall am Anfang einschränken. Von einem Auto wissen wir genau, dass es aus einer Fabrik kommt. Aber das ist kein Gegensatz zu der Aussage, dass auch die Werke unserer Technik Gott gegenüber – wie alles andere auch – aus dem Nichts geschaffen sind. In allem, worin sie sich vom Nichts unterscheiden, sind sie solcher Art, dass sie ohne Gott nicht wären. Für alles in unserer Welt und in jeder Beziehung gilt, dass es ohne Gott nicht sein kann. Dies lässt sich nicht noch steigern.

 

Der fromm klingende Einwand denkt nicht hoch genug von der Allmacht Gottes. Gottes Allmacht bedeutet nicht, dass er alles Mögliche tun könnte. Wir wüssten dann zwar nie, ob Gott dies auch tatsächlich tun wird. Aber jedenfalls brauchten wir unserer Phantasie keine Zügel anzulegen. Wir müssten nicht alles, sondern nur das Ungewöhnliche auf Gott zurückführen. Die normalen Dinge hingen dann weniger von Gott ab.

 

Die Allmacht Gottes ist anders zu verstehen. Gott ist in überhaupt allem, was geschieht, mächtig. Wie könnte auch sonst die Geborgenheit in der Gemeinschaft mit Gott unsere Angst um uns selber entmachten? Es handelt sich nicht um eine bloß mögliche, sondern um eine immer wirksame Allmacht. Sie umfasst die Gesamtheit der Schöpfung. Alles, was existiert, geht restlos in seiner Abhängigkeit von Gott auf. Im Matthäusevangelium heißt es: »Kein Sperling fällt zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.« (Mt 10,29f) Eine noch größere Abhängigkeit kann es nicht geben. Auch die Menschwerdung des Sohnes Gottes besteht nicht darin, dass die menschliche Natur Jesu gesondert von Gott geschaffen wurde, sondern sie ist in der gleichen Weise restlos geschaffen wie unsere auch. Sonst wäre Jesus in seinem Menschsein nicht »in allem uns gleich, außer der Sünde«.  

 

XII.

 

Ein letzter Einwand: Geht es nicht im Glauben immer um das, was die Vernunft übersteigt? Muss die Vernunft nicht in ihre Grenzen verwiesen werden?

 

Darauf hat das Erste Vatikanische Konzil so geantwortet: Obwohl der Glaube die Vernunft übersteigt, kann zwischen Glauben und Vernunft nie ein echter Widerspruch bestehen. Vernunfteinwände gegen den Glauben müssen immer mit Vernunft beantwortet werden können. Solange das nicht gelingt, ist die betreffende Glaubensaussage auch noch nicht im Sinn der Kirche verstanden (vgl. DH 3017).

 

Zum Schluss diese Zusammenfassung:

 

 Manche Christen meinen, man müsse den Satz von der Jungfrauengeburt aus dem Glaubensbekenntnis streichen. Dazu besteht kein Anlass. Zu streichen ist nur das Missverständnis, die Jungfrauengeburt sei naturwissenschaftlich gemeint. Es handelt sich in Wirklichkeit um eine Wahrheit, die – wie von Jesus selbst als dem »Urheber und Vollender des Glaubens« (Hebr 12,2) – so von überhaupt allen Glaubenden gilt: Als Glaubende sind wir nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren.

Peter Knauer SJ

 

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David und Goliat

 

Die meisten kennen sicher die Geschichte aus dem Religionsunterricht früherer Zeiten. Sie wird erzählt in 1Sam 17,1-58. Wer sich nicht mehr erinnern kann, ich erzähle sie kurz mit eigenen Worten:

 

Es gab Krieg nahe Betlehem. Die Philister standen auf der einen Seite des Terebinthentales, auf der anderen Seite die Israeliten unter König Saul. Die Israeliten hatten Angst vor den hünenhaften und gut geharnischten Männern der Philister. David war schon geheim vom Propheten Samuel zum künftigen König gesalbt, aber er hütete weiterhin die Herden seines Vaters, dem Betlehemiten Isai. Drei von Davids Brüdern dienten im Heer der Israeliten. Isai sandte David zum Heer der Israeliten, um seinen Brüdern Proviant zu bringen und zu schauen, ob sie noch am Leben wären. Als er ankam, sah David, wie ein besonders großer Krieger (laut Bibel 2,90 m, nämlich 6 Ellen und eine Spanne, sicher übertrieben) aus dem Heer der Philister hervortrat und die Kämpfer des Saul verspottete: Sie sollten doch einen aussenden, der es mit ihm aufnehmen könne.

 

Als David das hörte, regte er sich auf, dass sie sich so verspotten ließen und meinte, er erledige das. Diese Kunde erreichte Saul. Saul wollte ihn davon abhalten, er sei noch zu klein und zu jung. Doch David prahlte mit seinen Kämpfen gegen wilde Tiere, die seine Herde angriffen. Da er sich nicht abbringen ließ, stattete ihn Saul mit Brustpanzer, Helm und Schwert aus. Der Helm rutschte ihm ins Gesicht, das Schwert war ihm zu schwer und in dem Panzer konnte er sich nicht bewegen. So ließ er alles zurück, nahm seine Hirtentasche, die ihm als Schleuder diente, und sammelte Kieselsteine auf. Als Goliat den Zwerg daherkommen sah, der ihn beschimpfte, bekam er einen Lachkrampf. David aber legte einen Stein in seine Schleuder und traf Goliat in die Stirn. Der fiel um wie ein Sack und war tot. Die erschrockenen Krieger der Philister rannten kopflos davon, Saul rückte nach und sie jagten die Philister davon. So begann Davids innige Freundschaft mit Sauls Sohn Jonatan.

 

Wer war dieser Goliat?

 

Die Bibel beschreibt ihn als Kämpfer der Philister (Pelischti, altägyptisch Peleset). Den Philistern haben wir den Namen Palästina zu verdanken. Sie siedelten an der Küste und schlossen einen Fünfstädtebund: Aschkalon, Aschdod, Gaza, Ekron und Gath. Goliat war aus Gath. Jahrhunderte lang (Richterzeit und frühe Königszeit) drangsalierten sie die Israeliten, forderten Tribut und drängten sie ins Bergland zurück. Die Israeliten hatten kaum eine Chance, denn die Philister hatten das Metallmonopol der ausgehenden Bronzezeit und der beginnenden Eisenzeit. Die Israeliten mussten sich sozusagen mit Holzschwertern und Holzpflügen begnügen und abrackern.

 

Als Saul auf David eifersüchtig wurde und ihm nach dem Leben trachtete, verdingte sich David mit einigen Kumpanen bei den Philistern als Söldner. Hier lernte er das, was ihm fehlte, und er konnte später als König Israels den Philistern Paroli bieten und ihnen das Erzmonopol abjagen.

 

Und wer waren die Philister?

 

Im 13. Jh. vChr schwappte eine riesige Völkerwanderung aus Europa über das Mittelmeer nach Süden. Der französische Ägyptologe Gaston Maspero nannte diese Völkerflut „Seevölker“, weil sie über das Meer kamen. Dabei kam aber ein gewaltiger Tross auch auf dem Landweg über Anatolien die Küste entlang, Ziel Ägypten. Sie zerstörten wahrscheinlich Troja, brachten die Balkanhalbinsel total durcheinander, die Hethiter in Anatolien konnten sie nicht aufhalten, sie zerstörten die minoische Kultur auf Kreta, raubten auf Zypern das Metallmonopol, raubten den Phöniziern das See- und Handelsmonopol und bedrängten Ägypten. Ramses III. gelang es um 1200 vChr, in einer Seeschlacht vor dem Nildelta diesen Ansturm zu stoppen. Die Ägypter nannten sie „Fremdvölker“ und stellten den Sieg auf einem riesigen Relief in Medinet Habu dar.

 

Zum geschlagenen Rest gehörten die Philister, sie siedelten an der Küste Kanaans und bildeten den Fünfstädtebund. Die „Seevölker“ waren sicher Indogermanen. Einige Forscher meinen, sie wären Illyrer aus dem Donauraum gewesen, einige meinen, die Völkerwanderung hätte schon in Nordeuropa begonnen, ein Buch, das ich darüber gelesen habe, verstieg sich sogar zu der Annahme, Goliat wäre ein Däne gewesen.

Erhard Eibensteiner

 

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Kommentar zum Evangelium

„Jesus und die Samariterin“ (Joh 4,5-42)

von Peter Paul Kaspar

 

Vorneweg eine böse Feststellung: Jesus macht sich im heutigen Bibeltext mehrfach verdächtig. Er spricht mit einer Frau, nur zu zweit. Allein das war damals schon ungehörig. Sie ist zudem Angehörige einer fremden religiösen Gruppe und zu allem Überfluss auch noch eine öffentliche Sünderin. Was kann ich als katholischer Priester schon dazu sagen? Als Funktionär einer Glaubensgemeinschaft, die sich als die einzig wahre Kirche Jesu sieht, in der die Frauen vom geistlichen Amt ausgeschlossen sind – und zu allem Überdruss als katholischer Priester, der sich ja überhaupt die Frauen mit spitzen Fingern vom Leib halten soll. Eigentlich müsste ich diesen Evangelienkommentar verweigern.

 

Andrerseits gebe ich gern zu, dass mich jene Bibelstellen besonders interessieren, in denen sich Jesus aus der Sicht der gesetzestreuen Juden, vor allem der Pharisäer, unkorrekt verhält. Wenn er etwa die vorgeschriebene Sabbatruhe bricht, um einen Kranken zu heilen. Oder – wie im heutigen Bibeltext – mit einer mehrfachen und öffentlichen Sünderin und andersgläubigen Frauensperson ungeniert Konversation über Gott und die Welt macht. Der gelegentlich ungehorsame Kirchenbeamte in mir pflegt sein Interesse an jenen Bibelstellen, in denen Jesus, der Jude, den damals üblichen jüdischen Religionsbetrieb kritisiert und eigenmächtig anders handelt, als man von ihm erwartet.

 

Denn in diesem Gespräch am Jakobsbrunnen, mit einer samaritischen Frau, angesichts ihrer Männergeschichten und der vielen Gründe, als rechtgläubiger Jude und religiöser Lehrer das Gespräch zu verweigern, durchbricht Jesus die Spielregeln eines selbstgefälligen Religionsbetriebs. Er spricht mit ihr, voll Empathie – wie man das heute nennen würde. Aber zugleich aufrichtig, ohne Anbiederung und falsche Freundlichkeit. Gütig und streng zugleich. Ich versuche die Provokation in den heutigen Kirchenbetrieb zu übertragen und stelle mir einen katholischen Pfarrer vor, der zulässt, dass ein geschiedener und in zweiter Ehe lebender Musiker den Kirchenchor leitet, oder der die in lesbischer Beziehung lebende Religionslehrerin nicht beim Schulamt anzeigt.

 

Wer die Heilige Schrift nach erbaulichen Texten durchsucht, wird manchmal schwer enttäuscht. Provokationen und Irritationen durchziehen die Bibel, die im Kirchenbetrieb gern zur Erbaulichkeit entstellt wird. In der Textvorlage des heutigen Evangeliums für den Gottesdienstgebrauch der Lektoren und Pfarrer gibt es eine Kurzfassung, in der die fünf Männer der samaritischen Frau einfach herausgeschnitten wurden. Vielleicht will man auch nur den Pfarrer bei der Predigt nicht in Verlegenheit bringen. Man stelle sich den braven Gottesmann am Samstag bei der Predigtvorbereitung vor: Lieber Gott, wenn es schon eine Frau sein muss, noch dazu eine Ketzerin – muss sie dann auch noch einen derart lockeren Lebenswandel haben? Nein, nicht nur mit einem einmaligen Verhältnis oder einem heimlichen Freund – nein, mit fünf Verflossenen und dem jetzigen ohne Trauschein!

 

Die Bibel und der fragwürdige Umgang Jesu mit zwielichtigen Menschen macht es einem nicht leicht, ein guter katholischer Priester zu sein, der seinen Umgang auf die frommen Schäfchen seiner Herde beschränkt, der seinen Glauben gegen die Ketzer verteidigt und zu Frauen stets den gemessenen Abstand hält. Vielleicht steht deshalb der Priester bereits auf der Artenschutzliste des katholischen Kirchenbetriebs. Manche meinen, das Aussterben wäre das Beste, das diesem Beruf passieren kann. Denn das Gespräch mit der Samariterin steht nicht mehr im Pflichtenprogramm einer Kirche, die ihre schrumpfende Herde im pastoralen Notversorgungsprogramm mit reisenden Zelebranten versorgt. Vielleicht ist das Gespräch Jesu mit der Samariterin, einer multiplen Sünderin auf der Suche nach Wasser und Lebenssinn, ein Beispiel für das, was die gegenwärtige Kirche aufgibt: Die Seelsorge.

 

Der heutige Multiplexpfarrer im frühen Greisenalter an der Pensionsgrenze hetzt von Stille zu Stille, reibt sich auf zwischen den vielen Pflichtterminen seines multifunktionalen Betriebs und dem Wunsch, doch endlich wieder das zu sein, was er eigentlich werden wollte – ein Seelsorger. Er hört das Evangelium vom Gespräch Jesu mit der Samariterin und denkt sich: So einer wollte ich ursprünglich sein.

 

Doch das Wasser bleibt im Brunnen, der Durst wird kaum mehr gestillt und die Kirche bleibt im Dorf. Da kommt dem hochwürdigen Herrn eine ketzerische Vision: Die Frau nimmt ein Schöpfgefäß und holt sich selbst ihr Wasser aus dem Brunnen. Sie bringt es ihrem Mann – auch wenn sie nicht mit ihm verheiratet ist. Vielleicht hat sie auch Kinder, die ihren Durst stillen wollen. Denn das Wasser, das lebendige Wasser, das ihren und den Durst aller, die hören wollen, dauerhaft stillen kann, will geschöpft werden.

 

Von wem auch immer.

Gefunden von Gerhard Steindl

 

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Mag. Andreas Heindl, Vortrag am 26.03.2011

Wurde Judas unschuldig zum Verräter?

 

Judas Iskariot genießt gemeinhin einen katastrophalen Ruf: Er sei der Verräter Jesu, geldgierig, ein Dieb, ein Selbstmörder, der Prototyp des bösen Juden und vom Teufel besessen gewesen. Wie kam es zu dieser Charakterzeichnung, die im Lauf der Geschichte weitreichende Konsequenzen zeitigen sollte? Trifft sie auf Judas als historische Persönlichkeit tatsächlich zu? Und ist es legitim, sich über diesen Menschen ein abschließendes Urteil zu bilden?

 

1. Judas im Neuen Testament

 

Zwei Charakteristika werden Judas evangelienübergreifend zugeschrieben: (1) Er ist einer von den Zwölfen. (2) Er liefert Jesus aus. (Das griech. Wort paradidönai bedeutet „übergeben/ausliefern", nicht „verraten".)

Mk: Judas taucht zuerst in der Zwölferliste 3,16-19 auf. Sein Name fällt als letzter, und Mk gibt zugleich einen Hinweis auf seine künftige Tat. Als die Autoritäten in Jerusalem nach einem Weg suchen, Jesus zu fassen, läuft Judas zu ihnen über (14jof.). Er separiert sich damit von seiner Aufgabe, „mit Jesus zu sein" (vgl. 3,14). Während des Letzten Abendmahls kündigt Jesus seine Übergabe durch einen der Zwölf, der mit ihm isst, an. Das könnte theoretisch jeder von ihnen sein. Jesus betont, dass sein Weg ins Leiden schriftgemäß ist. Dies befreit den Auslieferer jedoch nicht von der Verantwortung für seine Tat. In Getsemani identifiziert Judas Jesus mit einem Kuss. Das Motiv hat der Autor wohl aus dem AT übernommen (vgl. 2 Sam 20,9f; Spr 27,6). Danach verschwindet Judas aus dem Evangelium.

 

Mk wollte mit seiner Darstellung des Judas und der Zwölf seinen Adressatinnen und Adressatn vor Augen führen, dass auch diejenigen, die Jesus am nächsten stehen, nicht davor gefeit sind, ihn zu verlassen, seinen Feinden auszuliefern und zu verleugnen. Dabei dachte er wohl speziell an die Christinnen und Christen, welche unter dem Druck von Verfolgung vom Glauben abfielen und sogar die eigenen Leute denunzierten.

 

Mt stellt seine Zwölferliste 10,2-4 in den Kontext der Aussendungsrede, die dem Thema „Leiden der Jüngerinnen und Jünger" breiten Raum gewährt. Judas hat Jesus ausgeliefert, wie die Leserinnen und Leser jetzt den Machthabern ausgeliefert werden. Er erweist sich als geldgierig (26,15). Die 30 Silberstücke entspringen der schriftgelehrten Reflexion des Matthäus (Sach 11,12). Reich wird Judas damit nicht (Ex 21,32: Gegenwert für einen toten Sklaven). Beim Abendmahl spricht Judas Jesus als „Rabbi" an, nicht wie die anderen Jünger als „Herr". Die Szene belegt die Distanz zwischen Judas und Jesus/den Zwölfen. Die Verhaftung gewinnt an Dramatik, indem Jesus auf den Kuss mit einer Antwort reagiert. Ohne Parallele bei Mk ist die Erzählung vom Tod des Judas 27,3-10. Der ganze Abschnitt ist voller Anspielungen auf das AT. Das Thema „Blut" spielt in der Passionsgeschichte auch nach dem Tod des Judas noch eine wichtige Rolle.

 

Insgesamt zeichnet Mt Judas in einem negativen Licht: Er handelt aus Geldgier und macht sich am Vergießen des unschuldigen Blutes Jesu mitschuldig. Als Konsequenz daraus gibt er sich selbst den Tod, dessen seine Tat gemäß Dtn 27,25 würdig ist.

 

Lk tituliert Judas als „Verräter" (6,16) und setzt so ein massives negatives Vorzeichen. Er erklärt die Aktion des Judas mit der Besessenheit durch den Teufel. In der Verhaftungserzählung wird Judas zum Führer des Arresttrupps. Dass er Jesus wirklich küsst, wird nicht gesagt; Jesus blockt seine Annäherung wohl mit der vorwurfsvollen Frage in 22,48 ab. Vom weiteren Schicksal des Judas erfahren wir aus Apg 1,15-20: Nachdem er mit dem „Lohn der Ungerechtigkeit" ein Grundstück gekauft hatte, fiel er vornüber, platzte auf und verschüttete seine Eingeweide. Für Lk ist sein Tod nicht bloß ein schrecklicher Unfall, sondern die wohlverdiente Bestrafung eines Gottesverächters.

 

Lk möchte uns mit Judas ein abschreckendes Beispiel vor Augen führen: Wer gegen Jesus agitiert, ihn „verrät", steht mit dem Teufel im Bund und wird von Gott den gebührenden Lohn für seine Taten erhalten.

 

Joh: Judas wird in 6,60-71 als Ungläubiger und Teufel eingeführt. Damit leistet Joh zugleich dem Antijudaismus Vorschub — sind für ihn doch die Juden Söhne des Teufels (8,44). Bei der Salbung in Betanien nimmt Judas als Einziger Anstoß an der Aktion Marias. Grund: Er ist ein Dieb und
stiehlt aus der Gemeinschaftskasse, die er hütet. Beim Abschiedsmahl 13,1-30 ist Judas stark präsent. Der Teufel hat es ihm ins Herz gelegt, Jesus auszuliefern. Judas ist „nicht rein". Jesus gibt ihm einen Bissen; danach fährt der Satan in Judas hinein. Jesus befiehlt ihm, sein Vorhaben der Auslieferung schnell in die Tat umzusetzen. In 17,12 bezeichnet Jesus Judas als „Sohn des Verderbens". Bei der Verhaftung spielt er bloß noch die Rolle eines Statisten. Der ganze gottfeindliche Kosmos aus Juden und Heiden hat sich gegen Jesus zusammengerottet. Von einem Kuss ist keine Rede. Jesus gibt sich auf eigene Initiative zu erkennen und demonstriert seine Göttlichkeit.

 

Die Adressatengemeinde des JohEv trägt Konflikte mit der „Welt" genauso aus wie mit „Abweichlerinnen und Abweichlern" in ihrem Inneren. Sie weiß sich auf der Seite des Guten, während alle anderen der Sphäre des Satans angehören. Judas wird zum Typus des Ungläubigen, des moralisch verkommenen Abtrünnigen stilisiert.

 

2. Judas in der Alten Kirche

 

Die frühen christlichen Schriftsteller fokussieren auf die dunklen Aspekte der ntl. Judasbilder. Papias etwa gibt eine dritte Version des Todes des Judas wieder, die dessen Strafcharakter hervorhebt. Judas wird immer mehr zum Prototypen des Lügners, des Heuchlers, des Diebes, des Denunzianten. Auch der Antijudaismus nimmt zu; die sprachliche Verwandtschaft von „Judas" und „Jude" wird zum Anlass, in dem Einen alle Juden repräsentiert zu sehen.

 

Ein ganz anderes Verständnis des Judas zeigt sich im gnostischen Judasevangelium: Judas ist der einzige Apostel, der von Jesus privat über die geistige Welt belehrt wird. Erlösung bedeutet das Abstreifen von allem Irdischen und den Aufstieg des Geistes in die höheren Sphären. Jener geschieht mittels der Erkenntnis über das Wesen des Kosmos. Judas hat dazu Zugang. Daher wird er dazu bestimmt, Jesu sterbliche Hülle „zu opfern". So kann der wahre, immaterielle Jesus nach oben zurückkehren.

 

3. Judas-Legenden

 

Die ntl. Texte erzählen nur einzelne Ausschnitte aus dem Leben des Judas. So erfahren wir nichts über seine Kindheit, seine Familie oder sein Schicksal im Jenseits. Im Lauf der Zeit wurden diese Lücken durch volkstümliche Legenden aufgefüllt.

 

4. Judas im Judentum und im Islam

 

Die Judasbilder der jüdischen Toledot Jeschu und des muslimischen Barnabasevangeliums könnten gegensätzlicher nicht sein: Wird er von jüdischer Seite als Held erachtet, so betrachten Muslime ihn als Ausbund von Falschheit. Beiden Perspektiven gemeinsam ist, dass sie in einer Situation der Bedrohung der eigenen Identität durch die christliche Mehrheitsgesellschaft entwickelt wurden; die Gestalt des Judas dient als Vehikel, um den Wahrheitsanspruch der Christinnen zurückzuweisen.

 

5. Judas in der bildenden Kunst

 

Judas wird regelmäßig von den anderen Jüngern und von Jesus abgegrenzt. Das geschieht u.a. durch räumliche Separierung (Judas sitzt beim Abendmahl Jesus und den Aposteln gegenüber), andere Farbe der Kleidung (gelb), das Attribut des Geldbeutels, den frechen Diebstahl der Abendmahlsspeise, andere Haarfarbe (rot), einen schwarzen Nimbus, die Präsenz von Dämonen oder des Teufels und „typisch jüdische" Gesichtszüge (Hakennase).

 

6. Historische Rückfrage

 

Die Bedeutung des Beinamens „Iskariot" ist unklar; als Übersetzungsvorschläge wurden besonders diskutiert:

(1) „Sikarier": Diese Meuchelmörder verübten gegen die römischen Besatzer Anschläge. Eine solche Erklärung des Namens ist sprach- und geschichtswissenschaftlich unhaltbar.

(2) „Mann aus Kerijot": Kerijot war ein Dorf in Judäa. Judas wäre damit der einzige Nicht-Galiläer unter den Zwölfen und schon von daher ein Außenseiter gewesen.

(3) „Lügner": Judas hätte den Beinamen in dem Fall erst nach seiner Auslieferung Jesu von den frühen Christinnen erhalten.

 

Die Mitgliedschaft des Judas im Zwölferkreis und seine Übergabe Jesu dürften historisch sein. Jesus hat Judas zu einem von den Zwölfen berufen. Judas hat bei der Verhaftung Jesu eine aktive Rolle gespielt, deren Ausmaß wir nicht mehr im Detail kennen, ebensowenig seine Gründe dafür. Die Erzählungen über seinen Tod sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie sich an atl. und zeitgenössischen Motiven orientieren. Judas ist nach seiner Tat wohl nicht mehr in die Jüngergruppe zurückgekehrt. Seine Spuren verlieren sich im Dunkel der Geschichte.

 

Synopse: Die Vereinbarung zur Auslieferung Jesu

 

  Mt 26,1-5.14-16 Mk 14,1f.10f Lk 22,1-6  
  1 Und es geschah, als Jesus alle diese Reden beendet hatte, sprach er zu seinen Jüngern:      
  2 Ihr wisst, dass nach zwei Tagen das Passa ist, und der Sohn des Menschen wird überliefert, um gekreuzigt zu werden. 1 Es war aber nach zwei Tagen das Passa und das Fest der ungesäuerten Brote. 1 Es nahte aber das Fest der ungesäuerten Brote, das Passa genannt wird.  
  3 Dann versammelten sich die Hohenpreister und die Ältesten des Volkes in dem Hof des Hohenpriesters, der Kaiphas hieß, Und die Hohenpriester und die Schriftgelehrten 2 Und die Hohenpriester und die Schriftgelehrten  
  4 und ratschlagten miteinander, um Jesus mit List zu greifen und zu töten. suchten, wie sie ihn mit List greifen und töten könnten; suchten, wie sie ihn heimlich umbringen könnten,  
  5 Sie sagten aber: Nicht an dem Fest, damit nicht ein Aufruhr unter dem Volk entstehe. 2 denn sie sagten: Nicht an dem Fest, damit nicht etwa ein Aufruhr des Volkes entsteht. denn sie fürchteten das Volk.  
  14 Dann ging einer von den Zwölfen, Judas Iskariot mit Namen, zu den Hohenpriestern 10 Und Judas Iskariot, einer von den Zwölfen, ging zu den Hohenpriestern hin, 3 Aber Satan fuhr in Judas, der Iskariot genannt wurde und aus der Zahl der Zwölf war.

4 Und er ging hin und besprach sich mit den Hohenpriestern und Hauptleuten,
 
  15 und sprach: Was wollt ihr mir geben, und ich werde ihn euch überliefern? Sie aber setzten ihm dreißig Silberlinge fest.

um ihn an sie zu überliefern.

11 Sie aber freuten sich, als sie es hörten, und versprachen, ihm Geld zu geben;

wie er ihn an sie überliefere.

5 Und sie waren erfreut und kamen überein, ihm Geld zu geben.
 
  16 Und von da an suchte er Gelegenheit, ihn zu überliefern. und er suchte, wie er ihn zu gelegener Zeit überliefern könnte. 6 Und er versprach es - und suchte eine Gelegenheit, um ihn ohne Volksauflauf an sie zu überliefern.  

 

(Übersetzung: Revidierte Eberfelder Bibel)

 

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