[42] Steckkontakt, Ausgabe Sept. 2009

 

Gustl

 

Vor wenigen Wochen feierte Gustl in Weitra seinen 75. Geburtstag. Normalerweise ist so ein Ereignis in unserer Gemeinde Anlass für ein großes Fest, insbesondere wenn es sich um ein Urgestein handelt, dem die Gemeinde über Jahrzehnte Heimat war. Bei Gustl war es leider anders. Als wir am Tag nach seinem Geburtstag in Weitra anriefen und ihm gratulierten (am Geburtstag selbst gab es eine große Familienfeier, weshalb wir erst später anriefen), teilte uns Thomas mit, dass Gustls früherem Lebensbereich (Gemeinde, Wohngemeinschaft) sein Geburtstag weder ein Anruf, noch eine Karte oder ein kurzer Besuch wert war. Das will mir nicht in den Kopf, es macht mich traurig und betroffen! Da ich doch hoffe, dass dem einen oder anderen in der Gemeinde Gustls Leben nicht völlig gleichgültig sein kann, möchte ich euch über seinen Lebensweg seit Lenis Tod berichten. Wenn ich darin „wir“ schreibe, dann meine ich damit Familie Eichinger und uns. Wie bekannt zog Gustl nach Lenis Tod in Andis Haus nach Weigelsdorf. Dort wurde er von seiner rumänischen Pflegerin Maria und Andis Familie betreut. Im Spätherbst haben wir Gustl von dort einmal zu einer Gemeindemesse geholt und anschließend wieder nach Hause gebracht. Das Erlebnis hat ihn doch mehr aufgewühlt als erwartet, zumal er zwar in guter Absicht aber unglücklich mehrmals auf Lenis Tod angesprochen wurde, worauf er natürlich sofort in Tränen ausbrach. Auch Andi – noch nie ein großer Fan der Gemeinde – erkannte nach unserer Rückkehr Gustls Gemütszustand und blockte vorerst weitere Kontakte mit Gustl ab. Während der Urlaubsaufenthalte seiner Pflegerin in Rumänien musste Gustl mehrmals in das Pflegeheim der Caritas Socialis, was ihm gesundheitlich nicht gut tat. Das bekannt vorzügliche Heim war natürlich nicht in der Lage, mit Gustl tägliche längere Gehübungen im Garten durchzuführen. Er wurde einfach mit dem Rollstuhl in den Garten gestellt, und nach einiger Zeit wieder auf sein Zimmer gebracht; Gift für seine Behinderung! Lenis Bruder organisierte während dieser Wochen liebevoll einen täglichen Besuchsdienst von Freunden und Verwandten, und diese Besuche ließen Gustl die Stunden kurzweiliger werden. Bei einem solchen Gartenverweil hat ihn Manfred durch Zufall gesehen, was gleichzeitig Gelegenheit war, unsere Kontakte etwas zu vertiefen. Nach der Erkrankung von Andis Frau musste für Gustl eine neue Unterbringung gefunden werden. Thomas hat es übernommen, ihn in Weitra zunächst bis in den Herbst unterzubringen. Dort lebt er nun seit Monaten mit seiner rumänischen Pflegerin und Tante Mizzi, wobei alle Wege, Arztbesuche und dergleichen organisiert sind. Thomas selbst verbringt den gesamten August mit seinem Vater. Da Gustl die Stiegen in seinem Garten nicht mehr steigen kann, wurde ein Behindertenlift eingebaut, der Gustl problem- und gefahrlos auf seine Terrasse bringt. Leider kann er nicht mehr schnitzen, sein räumliches Wahrnehmen dürfte verloren gegangen sein. Deshalb blieb auch der Versuch, ihn mit Ton- und Töpferarbeiten zu beschäftigen, ohne Erfolg. Nunmehr versucht er es mit Malen, wir haben aber noch keine diesbezüglichen Arbeiten gesehen. Leider verfügt niemand seiner unmittelbaren Betreuungspersonen über ein Auto. Gustls Welt besteht daher aus seinem Haus und dem Weg ins Gabrielental, wohin er mit dem Rollstuhl geschoben werden kann, und wo er auch einige Schritte geht. In den Ort kommt er kaum, da der Rollstuhl über die Bergzeile nicht geschoben werden kann. Wir nützen daher unsere (leider auch viel zu seltenen) Besuche, um ihn und seine Begleiter beispielsweise auf ein Mittagessen auszuführen. Die Kommunikation mit ihm und seinen Betreuern funktioniert dabei problemlos; vor allem, weil auch Maria große Fortschritte in der deutschen Sprache gemacht hat, und die verbrachten Stunden vergehen wie im Flug. Gustl nimmt wie früher an den Gesprächen teil und antwortet auf Fragen nach seinen Möglichkeiten. Seine Zuwendungen zeigt er nach wie vor durch einzelne Worte, durch sein reizendes Lächeln und durch den Glanz seiner Augen. Da sich Gustl in Weitra besonders wohl fühlt, hat Thomas alle Maßnahmen getroffen um ihn auch über das Winterhalbjahr in Weitra zu belassen. Bedauerlicher Weise ist das Verhältnis unter den Brüdern schwer gestört, und sie sind sich auch in der Betreuungsfrage ihres Vaters uneins. Die wichtigste Person ist jedoch seine Pflegerin geworden, zu der er ein fast liebevolles Verhältnis aufgebaut hat. Sie ist unermüdlich um sein Wohlergehen bemüht, hilft ihm in allen Lebenslagen, und wenn Gustl einschläft, hält sie vertraut seine Hand.

 

Ich hoffe, ich habe euch mit meinen Zeilen nicht gelangweilt. Einige Gesichtspunkte hat schon Herta im Anschluss an eine Abendmesse erläutert. Schließlich handelt es sich um ein ehemaliges Mitglied der Gemeinde und der Wohngemeinschaft, um ein langjähriges Mitglied von Familienrunden und vor allem um einem Freund. Er, der gemeinsam mit Leni ein unübertroffener Gastgeber war, verdient auch in seiner jetzigen Lebenssituation unser aller Liebe und Zuwendung. Ihn in das Abendgebet einzuschließen, mag wichtig sein; über persönlich Kontakte oder Besuche (nach vorhergehender telefonischer Kontaktnahme) wäre er sicherlich auch glücklich.

Fritz Straka  

 

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