[06] Einige Artikel im Buch ”Basisgemeinden in Österreich", erschienen im Verlag Styria, 1989:

 

Grundlage der Gemeinde Endresstraße

 

Gott ist die Liebe, und er will durch die Menschen erfahren werden. Gott will, dass die Welt zu dem wird, was in der Bibel "Reich Gottes" heißt. In Christus ist das Reich Gottes angebrochen, er ist der Maßgebliche unseres Glaubens und Lebens - seine Nachfolge ist unsere gemeinsame Berufung.

 

Die Glaubensvertiefung und Glaubenserfahrung wie deren Austausch in der Gemeinde sind wesentlich. Persönliches und gemeinsames Gebet sowie Bibelgespräch sollten für jeden verbindlich sein! Unser Leben, unser Umgang miteinander sollten von geschwisterlicher Liebe geprägt sein. Dadurch geben wir unserer Umwelt ein Zeugnis der Nähe Gottes. Menschen, denen wir begegnen, sollen spüren: Hier gibt es nicht mehr die Herrschaft über andere ... Wir wollen andere fördern.

 

Wir sind überzeugt: Jedem hat Gottes Geist eine Begabung zum Aufbau der Gemeinde (Charisma) gegeben, die er in die Gemeinde einzubringen hat. (Das Maß unseres Engagementes bestimmt unser Gewissen!) Wir teilen miteinander, was wir haben: Zeit, Phantasie, Geld, Freuden und Schwierigkeiten ...

 

Damit wir uns intensiver kennenlernen und uns gegenseitig helfen können, ist jeder bestrebt, in einer Gruppe verbindlich mitzuarbeiten und auch am Aufbau neuer Gruppen interessiert zu sein.

Jeder von uns trägt Verantwortung für die Gemeinde! Dies zeigt sich durch die Teilnahme an der Gemeindeversammlung (evtl. Entschuldigung!), im Interesse an der Kinder- und Jugendarbeit, an der Messgestaltung und in der Unterstützung unseres Sozialprojektes „Hilfe für Behinderte".

 

Unsere Gemeinde wollte von Anfang an offen sein. Das bedeutet: Freude an „Neuen", Geduld mit denen, die sich noch nicht mit der Gemeinde identifizieren können, mit Christen anderer Konfessionen (Ökumene!) ...

Wir wollen mit der gesamten Kirche Christi verbunden sein, weil wir uns als Teil und Anregung dieses Ganzen sehen. Darum helfen wir nach Möglichkeit auch in Pfarreien und halten Verbindung zu anderen Gemeinden.

P. Anton Müller SJ

 

Wie sehe , lebe und erlebe ich unsere Gemeinde?

Vier persönliche Stellungnahmen

 

Alternativ ist ein vielstrapazierter Begriff. Dennoch: Wenn Christentum und christliche Gemeinschaft keine Alternative, keinen anderen Umgang miteinander und keine Konsequenz für das eigene Leben haben, was dann?

 

Vor 18 Jahren hat ER uns hierher geführt, weil ER ganz sicher mit uns allen etwas vorhat.

In einer erstarrten und großteils überalterten Kirche Wiens hat Gott uns eine Alternative gezeigt, die meine Frau und ich gerne aufgegriffen haben, weil wir sie im Innersten schon lange gesucht hatten.

Was diese christliche Gemeinschaft in all den Jahren inzwischen an Wachstum, Rückschlägen, Hoffnungen uns Entmutigungen, aber auch an neuem Umgang miteinander erlebt hat, ist kaum in wenigen Sätzen zu beschreiben.

 

Nicht die Äußerlichkeiten sind es, die diese Gemeinde kennzeichnen, weder die freiere Form der Messfeier (bei voller Wahrung des allgemeinen Liturgieverständnisses) noch die Aktivitäten: von Kindergesprächen bis Behindertenhilfe im wohl einzigartigen Verein „Hilfe für Behinderte".

Nein, es ist die Grundtendenz des selbstverständlich geschwisterlichen Umgangs untereinander bei allen Missverständnissen, aber auch des herrlich positiven Gemeinschaftslebens, das in einer „natürlichen" Familie sich auch ereignet.

 

Das gemeinsame Lernen des gleichberechtigten und liebevollen Umgangs miteinander ist seit drei Jahren verstärkt durch das Bedürfnis nach mehr Spiritualität, das dem Gebet zu einem neuen Stellenwert verholfen hat und uns ermöglicht, mit unserem Gott zu plaudern, IHN zu fragen, zu bitten, mit IHM zu hadern und IHM zu danken.

 

Und wir spüren, dass ER Anteil nimmt an unserem Leben. Oft hat ER unsere Bitten erhört, und oft ist ER fast spürbar unter uns, wenn wir in der Eucharistiefeier Hand in Hand im gemeinsamen Gebet um SEINEN Tisch stehen.

Günter Lenhart

 

Wie fing es bei uns an? Wir kamen 1981, anfangs nur zur Messe, erlebten hier eine Gemeinschaft, wie wir sie in einer römisch-katholischen Kirche bisher nicht erlebt hatten. Wir hörten bei den Predigtgesprächen zu und erhielten so Einblick in das Gedankengut der Gemeindemitglieder. Wir beobachteten dabei erstmalig, wie unser Priester während der Messe an den Rückmeldungen der Gemeindemitglieder überprüfen konnte, wie die Botschaft des Evangeliums angekommen ist. Wir halten dies für eine bessere Methode, als wenn der Priester eine Predigt hält und die Gläubigen lediglich zur Kenntnis nehmen, was der Priester zu sagen hat.

 

Dann gab es da eine Einrichtung, mit der wir zunächst nichts anfangen konnten, ,,Gemeindeeinladung" genannt. Nach einigen Messbesuchen wurden wir eingeladen, doch auch mitzukommen. Dabei ergaben sich Gespräche darüber, woher wir kommen, wo wir wohnen, eines ergab das andere, und wir fanden, dass hier eine Gemeinschaft sei, die uns zusagte. Wir stellten uns die Frage: Wollen wir dazugehören? Uns war klar, dass die Gemeinde eine verbindliche Gemeinschaft ist. Wir bejahten die Zugehörigkeitsfrage.

 

Was war hier eigentlich anders? Jeder kannte jeden; wenn ein Gemeindemitglied fehlte, so wurde nach ihm gefragt. Durch die fortgesetzte Teilnahme an der Messe, immer zum selben Termin, lernten wir beim Predigtgespräch langsam die „Endresstraßler" kennen, da ja viele über das Evangelium etwas zu sagen hatten. Bei den Gemeindeeinladungen und im Glaubensgespräch wurde dieses gegenseitige Kennenlernen mit und über Christus möglich. Ein Jahr später kam das Pfingstfest. Wir fragten, ob wir da auch mittun könnten und wurden aufgefordert, doch nach Waldhausen zum Pfingsttreffen mitzufahren. Dabei ist unsere Beziehung zum Glauben und zur Gemeinde neuerlich vertieft worden. Der nächste Schritt waren dann Gemeindefeste und Einladungen zu bestehenden Familienrunden sowie der Gemeindetag.

 

Der Gemeindetag und das Pfingstfest: Zu diesen Tagen wird immer ein von der Gemeindeversammlung festgelegtes Thema in der Meditation, bei Gesprächen in kleinen Gruppen bis hin zur Messvorbereitung in die Mitte gestellt, wo dann die Gedanken und Erkenntnisse einfließen zum Höhepunkt beider Gemeindefeste, der gemeinsamen Eucharistiefeier. Die Erkenntnis, dass wir alle gemeinsam unterwegs zu Christus sind, wurde langsam zur Gewissheit. Wenn es auch da und dort sehr bedauerliche Ausfälle und Rückschläge gegeben hat, so denken wir doch, dass Christus der Weg und das Ziel ist; dabei müssen wir uns selbst immer wieder prüfen, ob wir diesen Weg noch gehen. Wenn es dabei zu Konflikten und Spannungen kommt, müssen wir diese aushalten und nicht unter den Teppich kehren, sondern in liebevollen Gesprächen mit unseren Schwestern und Brüdern zu einem Konsens finden, wo beide Meinungen bestehen können.

 

Unser Reifungsprozess in der Gemeinde führte zur Gründung einer Familienrunde. Über diese Familienrunde lernten wir den in Wien wohl einmaligen Bibelkurs in der Volkshochschule Liesing kennen. Der Pfarrer der römisch-katholischen Kirche von Atzgersdorf, Dechant Novotny, und der Pfarrer der evangelischen Pfarre von Liesing, Friedrich Preyer, hielten diesen gemeinsam. Wir würden uns wünschen, dass es noch mehr solcher begrüßenswerter ökumenischer Veranstaltungen gäbe.

Was ist uns in dieser Zeit wichtig geworden?

 

Durch die gemeinsame Eucharistie, dieses An-der-Messe-teilnehmen-wollen - zum Unterschied zu vorher, wo wir unsere Sonntagspflicht erfüllten - und über das Zugehörigkeitsgefühl zur Gemeinde änderte sich unser Glaubensverständnis. Wir wissen, dass wir Mitverantwortung tragen für unseren Nächsten, für unsere Kirche und für die Welt. Wir wissen, dass wir unterwegs sind ... zu Gott, mit Christus an unserer Seite und mit der Hilfe des Heiligen Geistes.

Hans Staringer

 

Als wir vor ca. zehn Jahren nach unserer Übersiedlung in den 23. Bezirk die Sonntagsmessen in verschiedenen Kirchen der Umgebung besuchten, kamen wir auch in die Klosterkirche Endresstraße. Wir gehörten vorher einer Pfarre an, in der es zwar Familienrunden gab, aber das Geschehen wurde vorwiegend vom dortigen Pfarrer dominiert.

 

Während der Messfeier, die uns sehr gefiel, erlebten wir zum ersten Mal, wie sich Laien am sogenannten Predigtgespräch beteiligten. Mich als Frau faszinierte es vor allem, dass auch Frauen aufstanden und ihre Gedanken und Erfahrungen (mit denen auch ich mich identifizieren konnte) zum Ausdruck brachten.

 

Beim zweiten Messbesuch wurden wir angesprochen und fanden schnell Kontakt zu den Menschen der Gemeinde. Auch unsere Söhne, damals 12 und 14 Jahre alt, schlossen Freundschaft mit Gleichaltrigen, die sie zum Teil aus der Schule kannten. Dies war lange Zeit unser Hauptbeweggrund, der uns veranlasste, am Gemeindeleben teilzunehmen. Allmählich wurde uns aber klar, dass wir unsere ausschließliche „Konsumhaltung" ablegen müssen. Die Taufe unserer Tochter sowie die Feier der Pfingstfeste gaben den Anstoß zum Aktivwerden.

 

Im Vorjahr besuchten wir nacheinander den Cursillo; wir erlebten die echte Freude, die aus der Gewissheit der Erlösung kommt, und wurden uns der apostolischen Aufgaben bewusst.

Natürlich gibt es im Gemeindeleben auch immer wieder Konflikte und Meinungsverschiedenheiten. Aber es ist doch meistens die „andere Art", miteinander umzugehen, erkennbar. Von Anfang an fiel uns der liebevolle Umgang auf und das Bemühen, füreinander Verständnis aufzubringen. Und noch etwas: Man versteht es in der Gemeinde, Feste zu feiern! Taufen, Firmungen, Hochzeiten (speziell Silberhochzeiten), aber selbstverständlich auch die Hochfeste der Kirche sind ein echtes Anliegen der Gemeinde.

 

Wir möchten dem Herrn danken, dass er uns in diese Gemeinde geführt hat, von wo aus wir mit unseren bescheidenen Mitteln mithelfen wollen, das Reich Gottes zu verbreiten.

Hermi & Herbert Friedl

 

„Sehen”

Wir sehen unsere Gemeinde als Gemeinschaft, in der wir unseren Glauben intensiver leben und auch Hilfe für ihn finden können; als einen Ort, von dem aus wir unseren gemeinsamen Weg in der Christusnachfolge gehen wollen. Aus diesem engeren Kontakten ergeben sich natürlich auch Reibereien - mangelnde Verbindlichkeit in dieser Gemeinschaft wirkt sehr störend.

 

Wir müssen sehen und anerkennen, dass sich jeder bemüht, in seinem Glauben zu wachsen, und dass auch die unterschiedliche Glaubensverwirklichung Platz hat.

 

Die Aufstellung von Regeln für unsere Gemeinschaft kann nur mit sehr viel Feingefühl erfolgen. Sie können positiv wirken durch das damit akzeptierte verpflichtende Interesse an unserer Gemeinde, sie können aber auch abhaltend wirken für jene, die diese Verpflichtung scheuen.

 

Das Gefühl für das gemeinsame Tragen von Verantwortung für die Gemeinde muss noch wachsen, ebenso für das Tragen von Verantwortung füreinander. Jeder muss wirklich sein Talent einbringen. Auch beim „Putzdienst" oder z. B. beim „Bänketragen", bei der Vorbereitung von Veranstaltungen.

„Leben"

 

Unser Leben ist schon sehr auf die Gemeinde ausgerichtet, hat doch jeder von uns Termine in und für die Gemeinde, wobei es keinen Unterschied macht, ob dieses Tätigsein im geistigen Bereich oder im manuellen erfolgt. Unser Wunsch ist ein weiteres Wachsen der Gemeinde in ihren Beziehungen zueinander und gemeinsam auf ihrem Weg zu Gott. Wir müssen jedoch noch erkennen, dass zwar unser Familienleben durch die Gemeinde schon sehr geprägt ist, aber unser Berufsleben sich vom Stil des Lebens in der Gemeinde noch allzu oft unterscheidet.

 

Wir hoffen und glauben, dass eine Trennung dieser Lebensbereiche nicht mehr möglich ist, da der Prozess der Gewissensbildung in und aus der Gemeinde ganz einfach nicht mehr ohne Wirkung für unser ganzes Leben bleiben kann.

 

„Erleben"

Wir erleben die Gemeinde manchmal als "Frust", als Ort einer kritischen Auseinandersetzung, als Ort der Enttäuschung, des Ärgers, viel öfter aber als Ort der herzlichen Freude und Beglückung, wobei die positiven Erfahrungen die negativen Eindrücke immer wieder mehr als aufheben.

Wir erleben die Gemeinde als Ort, an dem wir bei der Kommunionfeier um den Altar stehen, uns beim Vaterunser die Hände reichen, die Kommunion gleichzeitig nehmen, d. h. warten, bis jeder die Hostie erhalten hat, um so die Verbindlichkeit auf ganz einfache Weise ausdrücken.

Familienrunde: Graf, Kubitzki, Sauer, Schmalzbauer und Wielander

  

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